Versorgung neu gedacht Synergien zwischen ärztlichem Fachwissen und Künstlicher Intelligenz nutzen

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Durch KI möchte man nicht zuletzt personelle und finanzielle Ressourcen schonen. Durch KI möchte man nicht zuletzt personelle und finanzielle Ressourcen schonen. © Summit Art Creations – stock.adobe.com

In den letzten Jahren wurden evidenzbasierte digitale Technologien entwickelt, welche die Patientenversorgung künftig auf ein höheres Level heben könnten. Richtig eingesetzt eröffnet KI neuen Möglichkeiten – von der Diagnose bis zur Prognose.

Die immer geringere Zeit für persönliche Arzt-Patienten-Kontakte, die limitierte Genauigkeit bei körperlichen Untersuchungen und teilweise veraltete Technologien zählen aktuell zu den größten Herausforderungen von traditionellen Sprechstunden. Digitale Lösungen und Künstliche Intelligenz (KI) haben das Potenzial, die Versorgung zu verbessern. In einer aktuellen Übersichtsarbeit erklären Dr. Evangelos Oikonomou und Dr. Rohan Khera von der Yale School of Medicine anhand von Beispielen, wie digitale Anwendungen in klinische Routineabläufe eingebunden werden könnten.

Mittels KI lassen sich auch Dialoge zusammenfassen

Um bei wachsenden bürokratischen Anforderungen an die Praktizierenden mehr Zeit für den persönlichen Kontakt zu schaffen und damit die Patientenzufriedenheit zu steigern, bietet sich eine automatische Dialogzusammenfassung an. Diese basiert auf computerlinguistischen Ansätzen und Sprachtrans­kription sowie gegebenenfalls einer intelligenten Schnittstelle für Aufnahmegeräte und Notizen. Außerdem können große Sprachmodelle wie ChatGPT die Arzt-Patienten-Kommunikation verbessern, indem sie die meist komplexe medizinische Sprache an den Kenntnisstand von Laien anpasst.

In der Diagnostik ist es dank der Fortschritte in der Signalverarbeitungstechnik mittlerweile möglich, medizinisch wertvolle Informationen nicht nur aus dem Inhalt des Gesprochenen zu extrahieren, sondern auch aus bestimmten Eigenschaften der Stimme. Vielversprechend ist beispielsweise die Analyse von Sprachmerkmalen, die auf eine Veränderung des Flüssigkeitsstatus bei Herzinsuffizienz hinweisen können.

Auch bei der körperlichen Untersuchung können digitale Lösungen hilfreich sein. So liefern zum Beispiel KI-gestützte videobasierte Ganganalysen objektive Informationen zur Gebrechlichkeit, die wiederum direkt mit der Langzeitprognose korrelieren. Solche standardisierten Messdaten könnten sich theoretisch zu wertvollen Hilfsmitteln entwickeln, wenn es darum geht, das Risiko-Nutzen-Verhältnis von Interventionen wie der Antikoagulation oder der Bewertung der Lebensqualität zu personalisieren, so die Autoren.

Ein weiteres Anwendungsbeispiel für digitale Lösungen ist die Fundoskopie. Obwohl der Zusammenhang zwischen Veränderungen an der Netzhaut und Diabetes mellitus, Hypertonie sowie anderen kardiovaskulären Erkrankungen bekannt ist, wird die Untersuchung außerhalb der Ophthalmologie selten durchgeführt. An Smartphones angepasste Bildgebungsmodelle ermöglichen die Erfassung von Netzhautbildern sowie eine direkte Auswertung der Ergebnisse.

Digitale Unterstützung auch bei der Auskultation möglich

Die Verlässlichkeit der Befunde einer Auskultation ließe sich mithilfe von digitalen Stethoskopen oder smartphonebasierten Phonokardiografie­anwendungen steigern. Zudem könnten EKG-fähige Stethoskope in Kombination mit KI sowie Point-of-Care-Ultraschall-Untersuchungen, z. B. mithilfe der jüngst entwickelten tragbaren Ultraschallpflaster, die Befunde um zusätzliche Informationen ergänzen. Dies wäre eine Unterstützung der Ärztinnen und Ärzte bei der Diagnosestellung.

Das vielleicht größte Potenzial der KI sehen die Autoren darin, die Patientenversorgung revolutionieren zu können, indem Veränderungen des Krankheitsverlaufs bereits aus der Ferne erkannt werden. Für eine solche Langzeitüberwachung der Patientinnen und Patienten zwischen den Arztbesuchen stehen mehrere moderne digitale Hilfsmittel wie Wearables oder tragbare bzw. implantierbare Sensoren zur Verfügung. Diese erfassen verschiedenste Signalmodalitäten wie beispielsweise Einkanal-Elektrokardiogramme oder sprachbasierte Funktionen.

Einige dieser Hilfsmittel geben bei Änderungen der biometrischen Parameter einen Alarm ab und können so zum Beispiel frühzeitig auf eine beginnende Dekompensation bei Herzinsuffizienz hinweisen. Dies ermöglicht eine rechtzeitige Anpassung der Therapie, was die Notwendigkeit einer Krankenhauseinweisung abwenden kann. Zuletzt kann KI auch bei der Bewertung eines klinischen Falles und der Überweisung an andere Ärztinnen oder Ärzte nützlich sein. Denn sie kann helfen, Daten aus der Patientenakte, neue Befunde und Informationen aus Leitlinien sowie anderen relevanten Evidenzen zusammenzuführen.

Quelle: Oikonomou EK, Khera R. Eur Heart J 2024; 45: 3204-3218; DOI: 10.1093/eurheartj/ehae415