Enzephalitis Time is brain – das gilt auch bei der Hirnentzündung

Autor: Dr. Joachim Retzbach

Enzephalitis im rechten Temporallappen, hervorgerufen durch eine Herpes-simplex-Infektion. Enzephalitis im rechten Temporallappen, hervorgerufen durch eine Herpes-simplex-Infektion. © Science Photo Library/ZEPHYR

Eine Enzephalitis wird oftmals viel zu spät erkannt, sagt der Neurologe Prof. Dr. ­Carsten ­Finke von der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Er möchte ein größeres Bewusstsein für die Erkrankung schaffen und erklärt, welche Symptome für eine Hirnentzündung sprechen.

Herr Prof. Finke, zum Welt-Enzephalitis-Tag am 22. Februar haben Sie darauf hingewiesen, dass es oft noch zu lange dauert, bis die Diagnose Gehirnentzündung steht. Woran genau hakt es?

Die initialen Symptome können sehr unspezifisch sein. So treten manchmal zunächst nur grippale Beschwerden auf. Im weiteren Verlauf kommt es häufig zu kognitiven Einschränkungen, z.B. Gedächtnisstörungen, und zu psychischen Symptomen wie Stimmungsschwankungen, Gereiztheit oder Depressivität. Dann wird die Enzephalitis häufig noch nicht als Differentialdiagnose berücksichtigt.

Wann muss man unbedingt an eine Enzephalitis denken?

Auf jeden Fall, wenn zu Fieber und Kopfschmerzen andere neurologische Symptome hinzukommen, etwa epileptische Anfälle. Das können subtile Anfallsformen sein. Eine Patientin unserer Klinik war z.B. zu Beginn ihrer Enzephalitis einige Wochen in der Psychiatrie. Dort vermutete man eine Medikamentennebenwirkung oder eine depressive Episode. Die Frau hatte aber schon leichte epileptische Anfälle, die sich mit Gänsehaut und Déjà-vu-Erlebnissen bemerkbar machten. Trotzdem wurden erst Neurologen hinzugezogen, nachdem ein Grand-mal-Anfall auftrat.

Auch wenn zu Kopfschmerzen und Fieber noch Benommenheit, Gereiztheit oder eine leichte Verwirrung hinzukommen, sollte man hellhörig werden. Gewissheit geben meist erst eine MRT des Kopfes und vor allem eine Liquoranalyse mit Erreger- und Antikörperdiagnostik. Bei hochgradigem Verdacht beginnt man aber schon mit der Behandlung, ohne diese Untersuchungen abzuwarten.

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Die gemeinnützige Organisation Encephalitis International koordiniert den Welt-Enzephalitis-Tag und informiert über aktuelle Forschung zu Ursachen und Therapie der Erkrankung.

Welche Formen der Enzephalitis gibt es?

Es gibt zwei große Gruppen, die infektiösen und die autoimmunen Formen. Die infektiöse Variante wird häufig durch das Herpes-Virus Typ 1 verursacht. In diesem Fall behandelt man zunächst mit Aciclovir. Sind Bakterien die Ursache, werden ZNS-gängige Antibiotika benötigt, gegen Pilzinfektionen Antimykotika.

Die zweite Gruppe der Enzephalitiden ist autoimmun verursacht. Dabei richten sich Autoantikörper oder Zellen des Immunsystems gegen das Gehirngewebe. In den letzten Jahren wurden zahlreiche neue Subtypen identifiziert. Behandelt wird z.B. mit hoch dosiertem Kortison, Blutwäschen, Immunglobulinen oder modernen Immunsuppressiva.

Wie sieht die Prognose bei Enzephalitis aus?

Die frühe Diagnose ist entscheidend. Ebenso wie beim Schlaganfall gilt: Time is brain – wenn auch in einem etwas gröberen zeitlichen Maßstab. Mit jedem Tag ohne Behandlung steigt das Risiko für Langzeitschäden. Daher sollte man sich im Zweifel lieber einmal zu oft für die schnelle Abklärung entscheiden.

Insgesamt muss die Awareness für die Erkrankung noch weiter steigen. Die Die Organisation Encephalitis International, bei der ich im wissenschaftlichen Beirat sitze, hat aktuell eine Umfrage unter Notfallmedizinern und Pflegekräften durchgeführt. Bei einem fiktiven beschriebenen Fall haben drei Viertel der Befragten die Diagnose einer Autoimmunenzephalitis gar nicht in Betracht gezogen, obwohl der beschriebene Patient die typischen Symptome hatte! In der Neurologie wurde das Thema in den letzten Jahren ausgiebig diskutiert. Aber das gilt nicht unbedingt für andere Fachgebiete.

Welche Langzeitschäden drohen?

Bei vielen Enzephalitisformen wird insbesondere der Hippocampus stark betroffen, der für das Gedächtnis sehr wichtig ist. Generell sind kognitive Defizite, Fatigue und Schlafstörungen sehr häufige Langzeitfolgen der Enzephalitis. Auch eine emotionale Instabilität kann zurückbleiben.

Medical-Tribune-Interview

aktualisiert am 06.02.2024

Prof. Dr. Carsten Finke; Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin Prof. Dr. Carsten Finke; Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie, Charité – Universitätsmedizin Berlin © Privat