Hoigné-Syndrom Todesangst und Halluzinationen nach Penicillininjektion
Das Syndrom, das mit einer Anaphylaxie oder einer Panikattacke verwechselt werden kann, wurde am umfassendsten von dem Schweizer Internisten Rolph Hoigné beschrieben. Als charakteristisch gelten neben optischen und akustischen Halluzinationen und Todesangst, Brustschmerzen, Kurzatmigkeit und psychomotorische Agitation. Die Symptome treten sofort nach der i.m. Gabe eines Medikaments, meist Penicillin, auf. Da das Hoigné-Syndrom so selten ist, wurde es bisher noch nie systemisch evaluiert. Diesen Missstand wollte ein Forscherteam aus der Schweiz, Italien und Großbritannien beheben. Erstautor ihrer Studie ist Danilo Consolascio von der Universität Lugano.
Alle Patienten erholten sich ohne Folgen
Nach einer Literaturrecherche schlossen die Wissenschaftler 71 Berichte aus den Jahren 1951-2021 mit 247 Patienten in ihre Untersuchung ein. Betroffen waren doppelt so viele Männer wie Frauen. In ca. 90 % der Fälle handelte es sich um junge und mittelalte Erwachsene, die Penicillin G (vorwiegend kombiniert mit dem Lokalanästhetikum Procain) i.m. erhalten hatten. Die Reaktionen traten ebenfalls bei etwa 90 % innerhalb einer Minute auf und hielten maximal 30 Minuten lang an. Die häufigsten Symptome waren Todesangst, Halluzinationen, abnorme Herzfrequenz und psychomotorische Agitation. Zwischen 15 und 30 % litten unter Schwindel, hohem Blutdruck, Kurzatmigkeit, Sehverschlechterung, Angst, Bewusstseinstrübung oder diversen sensorischen Störungen (Hyper-, Hypo- oder Parästhesie). Alle erholten sich von dem Vorfall ohne Folgen.
Fünf ältere Patienten mit pulmonalen oder kardiovaskulären Vorerkrankungen, die die Autoren separat betrachteten, waren sofort nach einer i.m. Injektion verstorben. Auch wenn die Umstände dafür sprachen, ließ sich bei ihnen nicht belegen, dass es sich um ein Hoigné-Syndrom handelte.
Eine Anaphylaxie muss ausgeschlossen werden
Die Diagnose der Störung stützt sich ausschließlich auf klinische Kriterien. Dazu gehören die oben beschriebenen Symptome, der Beginn innerhalb von fünf Minuten nach einer i.m. Injektion und der Ausschluss einer Anaphylaxie, einer Panikattacke bei Spritzenangst und einer toxischen Reaktion auf Lokalanästhetika.
Die Pathophysiologie ist noch nicht abschließend geklärt. Man nimmt aber an, dass es durch eine versehentliche intravenöse Injektion zu Mikroembolisationen in Lunge und Gehirn kommt. Histopathologische Untersuchungen stützen diese Hypothese. Da es keine spezifische Behandlung gibt, halten die Autoren die Vorbeugung für die entscheidende Maßnahme: Vor einer i.m.-Injektion sollte man durch Aspiration und Wahl eines geeigneten Injektionsortes (Deltoideus, Oberschenkel oder äußerer oberer Gluteus-Quadrant) sicher gehen, dass das Medikament nicht in der Vene landet.
Quelle: Consolascio D et al. Journal of Autoimmunity 2024; 143: 103164; DOI: 10.1016/j.jaut.2023.103164