Psychedelika Trip gegen das Vergessen

Autor: Dr. Melanie Söchtig

Die präklinische Evidenz in Bezug auf Entzündungen, Neuroplastizität und neurophysiologische Mechanismen spricht  dafür, dass Psychedelika das Wohlbefinden dementer Patienten steigern könnten. Die präklinische Evidenz in Bezug auf Entzündungen, Neuroplastizität und neurophysiologische Mechanismen spricht dafür, dass Psychedelika das Wohlbefinden dementer Patienten steigern könnten. © Viktoria – stock.adobe.com

Lange Zeit als Rauschmittel verpönt, werden hallu­zino­gene und psychotrope Sub­stanzen in der Psychiatrie wieder salonfähig. Ihre neuromodulato­rischen Eigenschaften könnten sie künftig auch für die Demenztherapie interessant machen.

Ob gegen Depression, posttrauma­tische Belastungsstörung oder Alkoholabhängigkeit: Psychedelika werden derzeit bei vielen psychiatrischen Erkrankungen erprobt, mit zum Teil eindrucksvollen Resultaten. Haben sie vielleicht auch Potenzial bei der Behandlung von Demenzerkrankungen? Dieser Frage sind Forscher um Dr. ­Michael ­Winkelman von der Arizona State University im Tempe nachgegangen.

Psychotrope Substanzen können nicht nur die neuronale Plastizität erhöhen, sondern auch die Hirn­atrophie verlangsamen oder umkehren. Bei klassischen Psychedelika wie Psilocybin, N,N-Dimethyltryptamin (DMT) und Lysergsäurediethylamid (LSD) beruht die Wirkung vor allem auf der Bindung an Serotoninrezeptoren. Dahingegen wirken atypische Psychedelika an anderen Arten von G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (z.B. Ibogain am κ-Opioid-Rezeptor), GABA-A-Rezeptoren (Muscimol) oder Muscarinrezeptoren (Muscarin­).

Rasche Veränderung der Genexpression

Aus präklinischen Studien ist bekannt, dass sowohl klassische als auch atypische Psychedelika rasche Veränderungen der Genexpres­sion und nachhaltige funktionelle und strukturelle Veränderungen im ­Gehirn hervorrufen können. Die Autoren haben für die möglichen Effekte bei der Behandlung von ­Demenzen drei grundlegende ­Mechanismen identifiziert:

1. Modulation im Transkriptom und Proteom des Gehirns

In vivo veränderte bereits eine Einzeldosis Psilocybin oder 5-­Methoxy-DMT die Transkription von Genen, die bei der Neuroplastizität eine Rolle spielen, im Hippocampus und im präfrontalen Cortex (PFC) signifikant. Andere Psychedelika erhöhen die Genexpression und die Plasmaspiegel des Wachstumsfaktors BDNF (brain-derived neurotrophic factor).

2. Modulation der epigenetischen Landschaft im Gehirn

Für verschiedene psychedelische Substanzen gibt es Anhaltspunkte dafür, dass sie die epigenetische Steuerung von Genen beeinflussen, die mit Neuroplastizität zusammenhängen. Dies geschieht etwa durch Histonmodifikationen oder DNA-Methylierungen. Zu diesen Wirkstoffen gehören u.a. DMT, LSD, und Ayahuasca. In vitro und im Tierversuch zeigten sich zum Teil  neurores­taurative und neuroprotektive Effekte.

3. Modulation der Neuro­inflammation

Klassische Psychedelika vermitteln über Serotonin- und Sigma-1-Rezeptoren entzündungshemmende Wirkungen. Das zeigen präklinische Studien. Bei Mäusen verbesserten sie kognitive Funktionen durch eine verringerte Neuroinflammation.

Die präklinische Evidenz in Bezug auf Entzündungen, Neuroplastizität und neurophysiologische Mechanismen spricht laut den Autoren dafür, dass Psychedelika das Wohlbefinden dementer Patienten steigern könnten. Angesichts der geringen Toxizität und zahlreicher komplikationsloser Studien mit jüngeren Teilnehmern könne man Untersuchungen mit geringer Dosierung bei Älteren „ohne unnötige Bedenken angehen“. Natürlich müssten die Patienten klinisch sowie ihre Immun- und Entzündungsparameter überwacht werden.

Quelle: Winkelmann MJ et al. Eur Neuropsychopharmacol 2023; 76: 3-16; DOI: 10.1016/j.euroneuro.2023.07.003