Gibt’s die Männergrippe wirklich? Unterschiede zwischen Frauen und Männern herausgearbeitet

Autor: Dr. Anna-Lena Krause

Wenn Männer mit Atemwegserkrankungen über ihre Symptome klagen, klingt es oft, als würden sie übertreiben. Wenn Männer mit Atemwegserkrankungen über ihre Symptome klagen, klingt es oft, als würden sie übertreiben. © kues1 - stock.adobe.com

Wenn Männer mit Atemwegserkrankungen über ihre Symptome klagen, klingt es oft, als würden sie übertreiben. Leiden sie tatsächlich mehr als Frauen? Oder haben wir einfach ein Problem damit, wenn das „starke Geschlecht“ Schwäche zeigt?

Besonders im Winter, wenn viele unter Schnupfen, Husten und Halsschmerzen leiden, fällt einem auf, wie unterschiedlich die Betroffenen damit umgehen. Während die junge Mutter sich trotz dickem Kopf und Schnupfnase bereit macht, die Kinder zur Kita zu bringen und anschließend ins Büro zu fahren, liegt ihr Mann flach. „Schatz, mir geht es so schlecht, ich bleibe heute im Bett.“ In diesem Szenario stellt sich die Frage, wer nun eigentlich im Kampf gegen Erreger das „stärkere“ Geschlecht ist. Die Journalistin Carla Delgado hat deshalb zusammengetragen, inwiefern sich der Mythos Männergrippe wissenschaftlich belegen lässt.

Östrogene beeinflussen das weibliche Immunsystem

Zunächst einmal umfasst der Begriff Männergrippe nicht nur Influenza, sondern generell virale Erkrankungen der oberen Atemwege. Das macht es schwieriger, das Thema wissenschaftlich zu untersuchen. Es gibt jedoch zahlreiche Hinweise darauf, dass Immunantworten bei Männern und Frauen unterschiedlich ablaufen. Dies lässt sich unter anderem mit dem Einfluss der Sexualhormone auf die Abwehr erklären. 

Östrogen wirkt potenziell antiinflammatorisch. Bei an COVID-19, SARS oder MERS Erkrankten wurde gezeigt, dass höhere Spiegel des Hormons mit milderen Verläufen korrelieren. Gleichzeitig können Östrogene Immunantworten verstärken. Das Abwehrsystem von Frauen ist generell aktiver, was sich auch in ihrer höheren Anfälligkeit für Auto­immunerkrankungen widerspiegelt. Da sie stärker auf Viren reagieren, können Frauen diese schneller eliminieren als Männer. Infektionserkrankungen wie Hepatitis B oder Dengue treffen überwiegend die Herren. Und falls doch eine Dame daran erkrankt, dann meist mit geringerer Viruslast. 

Androgene hingegen wirken eher abwehrhemmend. Bei einem hohen Testosteronspiegel werden nach einer Grippeimpfung weniger Antikörper produziert. Wer bei einer Influenza letztendlich die schlechteren Karten hat, hängt wahrscheinlich vom Virusstamm ab. Bei Männern scheint die saisonale Grippe tendenziell schwerer zu verlaufen, während Frauen wohl anfälliger für pandemische Virusstämme sind.

Neben den Hormonen wird die Immunität auch durch das Verhalten beeinflusst. Frauen gehen tendenziell früher zum Arzt und nehmen mehr Impfangebote in Anspruch. Dass Männer die Sprechstunde eher meiden, könnte daran liegen, dass sie keine Schwächen zeigen wollen, was häufig mit einem gesellschaftlichen Druck zusammenhängt.

Suchen verschnupfte Männer aber doch eine Arztpraxis auf, übertreiben sie beim Schildern ihrer Beschwerden nicht– im Gegensatz zu Frauen. Zumindest legen dies zwei Studien nahe, in denen HNO-Ärztinnen und Ärzte die Symptomschwere von Patientinnen mit akuter Rhinosinusitis schwächer einschätzten als die Erkrankten. Bei den Männern fiel die Diskrepanz geringer aus. In einer dritten Untersuchung schätzte das Fachpersonal die Symptome der männlichen Infizierten stärker ein als sie selbst. 

Trotz der Hinweise auf eine stärkere Immunabwehr des weiblichen Körpers lässt sich die Idee der „Männergrippe“ derzeit wissenschaftlich nicht untermauern. Bevor man weitere Studien durchführt, wäre es sinnvoll, den Begriff genauer zu definieren. Generell kann man sagen, dass es beim Gesundwerden nicht hilft, Symptome herunterzuspielen oder zu viel zu jammern. Sinnvoller ist es, ausreichend zu trinken und zu ruhen– das gilt für Männer und Frauen gleichermaßen.

Quelle: Delgado C. BMJ 2024; 387: q2535; doi: 10.1136/bmj.q2535