Patientengespräch „Versuchen Sie 30 Sekunden durchzuhalten“

Autor: Dr. Susanne Gallus

Für ein gutes Patientengespräch muss der Kommunikationsstil an den Patienten angepasst werden. (Agenturfoto) Für ein gutes Patientengespräch muss der Kommunikationsstil an den Patienten angepasst werden. (Agenturfoto) © bnenin – stock.adobe.com

Gute Gesprächsführung bedeutet auch, zuzuhören. Doch im Normalfall wird ein Patient bereits nach 13 Sekunden das erste Mal von seinem Arzt unterbrochen – zu früh, wie man feststellte. Wichtig ist in jedem Fall, schnell einzuschätzen, wie das Gegenüber tickt.

Anamnesegespräch, Therapie- und Krankheitsaufklärung sowie das in mittlerweile fast allen Leitlinien geforderte Shared-Decision-Making: Ohne Kommunikation läuft nichts. Viele Patienten beurteilen den Arzt nicht anhand des ärztlichen Handelns, sondern anhand der Kommunikation, sagte Prof. Dr. Thomas Dirschka, niedergelassener Dermatologe aus Wuppertal. Ein schlechter Arzt, der gut reden kann, würde in der Regel besser bewertet als ein Spitzenmediziner ohne Kommunikationstalent.

Wie gestaltet man aber ein Gespräch, aus dem beide Parteien zufrieden herausgehen – der Patient, der sich ernst genommen und verstanden fühlt und der Arzt, der nicht überlegen muss, über welche Nummer man ein Kaffeekränzchen abrechnen kann? Bereits das Setting sollte dem Patienten die ungeteilte ärztliche Aufmerksamkeit garantieren. Er muss das Gefühl haben, im absoluten Fokus des Arztes zu stehen, erklärte Prof. Dirschka, bevor er sich den wichtigsten Gesprächsregeln widmete.

Regel 1:  Zuhören

Der deutsche Durchschnittsarzt unterbricht seine Patienten zum ersten Mal nach 13 Sekunden. „Seit dem ich das weiß, versuche ich zumindest 30 Sekunden durchzuhalten“, sagte Prof. Dirschka und riet seinen Kollegen zum Selbstversuch. „Sie werden feststellen, wie schwer das ist.“ Denn oft weiß man natürlich, was kommt und antizipiert.

Regel 2: Verstehen

Dem Verständnis des Patienten hilft es, wenn der Arzt kurze Sätze und eine für den Patienten leicht verständliche Sprache nutzt. Außerdem sollte man versuchen, die Sichtweise der Patienten nachzuvollziehen. Erzählen die Patienten etwas, das einem vielleicht abstrus vorkommt, sei dies trotzdem nicht sofort „Blödsinn“. Man muss in diesen Situationen „verstehen, dass der Patient an diese Dinge geglaubt hatte“ gab Prof. Dirschka zu bedenken.

 Regel 3: Sprechgeschwindigkeit anpassen

„Langsam und verständlich vorgetragene Worte in 30 Sekunden wirken deutlich zeitgreifender als vier Minuten in hoher Geschwindigkeit zu sprechen“, erklärte der Dermatologe.

Regel 4: Informationsmenge dosieren

Ein durchschnittliches Arzt-Patienten-Gespräch mit einer Dauer von sechs Minuten enthält etwa 30 Informationen. Davon kann der Patient nur drei bis fünf behalten, wie Befragungen gezeigt haben. „Die restlichen Informationen, die Sie mit Mühe vortragen, lösen sich direkt in Luft auf“, so Prof. Dirschka. Wer jetzt meint, ein länger dauerndes Gespräch würde an dieser Tatsache etwas ändern, liegt falsch. Auch wenn sich der Arzt 30 Minuten Zeit nimmt, kann der Patient unmittelbar nach der Unterhaltung von den 30 gegebenen Informationen nur etwa drei bis fünf rekapitulieren.

Regel 5: Spiegeln

„Oft hilft es, dem Patienten zu spiegeln, wie wir als Ärzte sie gerade sehen“, erklärte Prof. Dirschka. Zum Beispiel mit Aussagen wie: „Ich habe das Gefühl, dass Sie jetzt gerade Angst haben, die Diagnose zu erfahren.“ Eine solche Metakommunikation kann helfen, die gesamte Gesprächssituation zu entspannen, weil der Patient sich dem Arzt gegenüber öffnet.

Das Wichtigste für das Gespräch in Kürze

  • Ungeteilte Aufmerksamkeit: Keine Gespräche auf dem Flur oder in Behandlungsräumen hinter Vorhängen führen.
  • Nicht gleich antizipieren und unterbrechen, sondern dem Patienten erst einmal ca. 30 s zuhören.
  • Langsam sprechen, kurze Sätze und leicht verständliche Sprache nutzen, dabei versuchen, Verständnis für die Sichtweise des Patienten zu entwickeln.
  • Informationsmenge reduzieren und sich auf das Wesentliche beschränken, in der Regel wird der Patient drei bis fünf Informationen behalten.
  • Die Gefühlsebene im Bezug auf die aktuelle Situation nutzen, damit der Patient sich im Gespräch öffnet. Wie wirkt der Patient?
  • Dem Patienten im Rahmen der gemeinsamen Entscheidungsfindung nicht gleich alles erklären, sondern fragen, ob man sich vorerst auf die persönliche ärztliche Meinung beschränken soll.
  • Den Patienten individuell sehen und sich auf seinen Stil einstellen. Ist er eine z.B. schwierige Person, ein Kind oder ein Schwerkranker?
  • In jedem Fall authentisch bleiben!

Regel 6: Shared-Decision-Making

Die gemeinsame Entscheidungsfindung bedeutet nicht, dass der Patienten alles erklärt bekommen muss, um danach alleine zu entscheiden. Die meisten Patienten werden am Ende ohnehin danach fragen, wie man als Arzt entscheiden würde, fügte Prof. Dischka hinzu. Die einleitende Frage: „Wollen Sie erst einmal meine Meinung hören?“ sei daher durchaus im Rahmen des Shared-Decision-Making zu verstehen.

Regel 7: Auf den Patiententyp einstellen 

Schon Hippokrates wusste: Es ist viel wichtiger zu wissen, welche Art von Mensch eine Krankheit hat, als welche Krankheit ein Mensch hat. Denn nach diesem Faktor richtet sich der Kommunikationsstil aus. „Wir müssen unsere Kommunikation auf die unterschiedlichen Patiententypen einrichten“, so Prof. Dirschka. Das heißt, sich individuell an jede Situation anzupassen. Eine Hilfestellung können Stereotypen (siehe unten) bieten, die auf typische allgemeine Verhaltensmuster zurückgehen. Sie erlauben dem Arzt, die Lage besser einzuschätzen und sich nicht in eine passive Rolle drängen zu lassen. Generell kann man sagen, dass ein schwieriger Patient sich selbst nie als solchen sieht. Er beschreibt sich als umgänglich, zugewandt, freundlich und lebensfroh, Konflikte werden anderen zugeschrieben. Stuft sich ein Patient dagegen selbst als schwierig ein, ist das nach Meinung des Referenten eher eine Entwarnung.

Regel 8: Kleine Kinder nicht überfallen

Eine weitere Besonderheit sind kleine Kinder. Prof. Dirschka empfiehlt, nicht direkt auf diese zuzugehen, sobald man das Sprechzimmer betritt. Indem man erst das begleitende Elternteil begrüßt und mit diesem spricht, erhält das Kind Zeit, um sich an die neue/fremde Person im Zimmer zu gewöhnen. Ein Tipp, der für Kinder und Erwachsene gleichermaßen gilt, ist, auf bevorstehende Schmerzen nicht explizit hinzuweisen. Statt z.B. eine Impfung anzukündigen mit: „Es tut jetzt gleich weh“, könne man auch sagen: „Es geht gleich los“, das reduziere den Schmerzscore auf der visuellen Analogskala im Schnitt um zwei Stufen.

Regel 9: Keine Floskeln bei Schwerkranken

Bei Schwerkranken spielen Hoffnungen eine wichtige Rolle. Dabei sollte man sich unbedingt bewusst machen, dass die eigene subjektive Vorstellung von Hoffnung deutlich von der des Patienten abweichen kann, betonte Prof. Dirschka. Die Hoffnung muss nicht auf Heilung gerichtet sein, sondern kann sich auch darauf beziehen, sich mit geliebten Menschen zu versöhnen. Erfragen kann man dies z.B. mit „Was ist ihnen in der nächsten Zeit besonders wichtig?“ Ein absolutes No-Go sind dagegen Floskeln wie „Das wird schon wieder“. „Es ist das Schlechteste, was Sie kommunikativ tun können“, sagte Prof. Dirschka. Denn Floskeln vermitteln schnell den Eindruck, dass man nicht weiß, was man sagen soll. Oft ist es besser die Ängste der Patienten direkt zu adressieren, um dann gemeinsam im Gespräch nach einer Lösung oder einem Kompromiss zu suchen. 

Quelle: Kongressbericht Dermatologie kompakt + praxisnah 2024

Patientenstereotype

Die Dramaqueen (m/w/d) braucht ihr Drama, daher können ihre Beschwerden oder Krankheiten keinesfalls normal sein. Dieses Drama kann/sollte man ihr gönnen, weil man sie damit zufriedenstellt. So bezeichnet man im Gespräch den banalen Hautausschlag beispielsweise als eher ungewöhnlich und weicht beim Benennen der Diagnose vom eventuell harmlos klingenderen Trivialnamen auf den Fachausdruck aus. Auch bei Therapien hilft es, Bezeichnungen etwas medizinischer oder komplizierter klingen zu lassen.

Der Radfahrer buckelt nach oben und tritt nach unten. Er meckert bei den MFA herum, ist dem Arzt gegenüber aber sehr freundlich und bestreitet auf Nachfrage die Probleme.

Der Nervtöter ist ängstlich agitiert und hat i.d.R. alle Beschwerden detailliert auf einem Zettel verschriftlicht, den man ihm sofort abnehmen sollte. Ein kurzer Blick darauf genügt meist für ein Vorsortieren der Symptome. Weniger relevante Beschwerden können auf spätere Termine verschoben werden.

Der Pedant hat alle bisherigen medizinischen Befunde genauestens dokumentiert und bringt oft bücherdicke Sammlungen mit zum Termin. Am besten, man bedankt sich für die gute Vorbereitung und weist z.B. direkt darauf hin, die Unterlagen später in Ruhe durchlesen zu wollen. So lässt sich verhindern, dass der Patient einen dazu bringen will, sich schon während des Termins in das mitgebrachte Material einzulesen. Nimmt man die Unterlagen allerdings an sich, müssen diese mit äußerster Sorgfalt behandelt werden.

Der Rechthaber ist relativ anspruchsvoll, weil er sich bereits ausführlich über seine Krankheit informiert hat. Da er vermeintlich alles (besser) weiß, hinterfragt er jeglichen ärztlichen Rat. Dahinter können Minderwertigkeitskomplexe bzw. das starke Gefühl der Fremdbestimmung stecken. Darauf zu bestehen, das Heft des Handelns in der Hand zu behalten, wird dem Arzt daher nichts nützen. 

Dem Rechthaber gegenüber steht der Unterwürfige, bei diesem ist eine paternalistische oder maternalistische Herangehensweise durchaus angebracht.

*Hierbei handelt es sich um eine verallgemeinerte und ggf. überspitze Beschreibung von Stereotype. Patienten sollen dadurch keinesfalls diskreditiert  oder ihre Beschwerden ins Lächerliche gezogen werden.