Visual-Snow-Syndrom quält Patienten mit ständigem Input
Das Syndrom hat seinen Namen von den typischen Sehstörungen, die Betroffene als Flimmern von sich im gesamten Gesichtsfeld bewegenden, weißen und schwarzen Punkten schildern. Typisch sind außerdem Nachbilder, was darauf hindeuten könnte, dass eine gestörte Prozessierung im visuellen Assoziationskortex am Krankheitsgeschehen beteiligt ist, erklärte Privatdozent Dr. Christoph Schankin vom Inselspital Bern. In einer eigenen Studie versuchte er genauer zu definieren, was Visual Snow phänotypisch ausmacht.1
Die Erkrankung trifft vor allem junge Menschen. Jeder vierte Patient, den Dr. Schankin befragte, litt seit seiner Kindheit daran. Das Durchschnittsalter bei Krankheitsbeginn lag bei 22 Jahren. 90 % berichteten über weitere visuelle Phänome („Würmer, die sich durch das Bild schlängeln“), über Photophobie und Nachtblindheit. Die Symptome passen nicht ganz zur Migräneaura, auch wenn die Patienten überzufällig häufig zusätzlich an einer Migräne leiden. Weitere Beschwerden wie Tinnitus oder Kopfschmerz können hinzukommen.
Ängste und Depressionen kommen häufig dazu
Das Ganze belastet die Patienten enorm, zumal die visuellen Störungen jeden Tag über 24 Stunden bestehen. Egal, ob die Augen offen sind oder geschlossen. Visuelle Phänomene und eine schlechte Nachtsicht erschweren die Orientierung, die Nachbilder machen Lesen mühevoll. „Patienten sind erschöpft bis zum Verlust der Alltagsfähigkeit, weil sie ständig Input bekommen, sich nie erholen können“, berichtete Dr. Schankin. Kein Wunder also, dass Angst und Depression häufige Komorbiditäten darstellen. In einer aktuellen Studie haben US-Forscher zeigen können, dass bei Patienten mit Visual-Snow-Syndrom die Habituation der visuell evozierten Potenziale gestört ist.2 Normalerweise reagiert der visuelle Kortex auf zwei aufeinanderfolgende Reize mit einer nachlassenden Reizantwort. Je kürzer der Abstand zwischen den Reizen, desto geringer die Reaktion.
Effektive Therapie sucht man bislang vergebens
Nicht so beim Visual-Snow-Patienten: Sein visueller Kortex reagiert unvermindert stark auf den zweiten Reiz, selbst wenn nur etwa 100 msec dazwischen vergehen. Das könnte ein Zeichen sein, dass die durch GABA-erge Neuronen vermittelte inhibitorische Kontrolle nicht funktioniert.
Mit dem Aufklären der Pathogenese geht es also voran, was sich von der Therapie leider nicht behaupten lässt. Analgetika, Triptane, Neuroleptika, Steroide – alles Mögliche ist schon versucht worden, bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Teilweise kam es sogar zur Verschlimmerung der Symptome. Lediglich zu Antikonvulsiva und Benzodiazepinen gibt es Berichte, dass in Einzelfällen die Beschwerden gelindert werden konnten. Von einer vielversprechenden Behandlungsoption ist man also weit entfernt. Dr. Schankin rechnet damit, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis eine wirksame Therapie für das Visual-Snow-Syndrom verfügbar sein wird.
Quelle:
Kongressbericht, Neurowoche 2018
1. Schankin C et al. Brain 2014; 137: 1419-1428
2. Luna S et al. Headache 2018; 58: 138-144