Ängste von Patient:innen Wann Sie die Diagnostik beenden und mit Psychoedukation beginnen sollten

Autor: Dr. Anja Braunwarth

Hypochondrie bezeichnet zwanghafte Befürchtungen, in der Zukunft krank zu sein, unabhängig von eigenen Beschwerden. Hypochondrie bezeichnet zwanghafte Befürchtungen, in der Zukunft krank zu sein, unabhängig von eigenen Beschwerden. © america_stock - stock.adobe.com

Real, Panikstörung, Hypochondrie oder funktionelle Beschwerden als Symptom: Die Angst von Patientinnen und Patienten vor Krankheiten hat viele Gesichter. Für hausärztlich Tätige ist der Umgang damit nicht immer leicht.

Das Bedürfnis nach Sicherheit und Bindung und sich selbst aus der Gefahrenzone bringen: Das sind allgemein die wesentlichen Motivationssysteme für Angst. „Sicherheit und Bindungen suchen ängstliche Patientinnen und Patienten immer auch bei Ihnen“, erklärte Dr. Iris Veit, Allgemeinmedizinerin und Psychotherapeutin im Ruhestand aus Herne. Man sollte die Ängste wahrnehmen und ansprechen. Den tatsächlichen Auslösern auf die Spur zu kommen, kann aber eine Herausforderung sein.

Ein mögliches Symptom sind somatoforme Beschwerden wie beispielsweise eine erworbene Hyperalgesie. Die Beschwerden verstärken sich durch ängstliche Wahrnehmung und Vermeidungsverhalten. Fast immer haben die Symptome mit einem Anlass begonnen, z. B einem schweren Verlust, betonte Dr. Veit. Man sollte daher immer danach forschen. Die Frage „Was meinen Sie: Woher könnten die Beschwerden kommen?“ gibt eine erste Orientierung.

Im Sinne der Psychoedukation hilft es, den Betroffenen eine Erklärung anzubieten, wie Psyche und die Beschwerden zusammen hängen könnten, z. B. bei Stress. Das unterstützt die Selbstwirksamkeit und hilft vielen, ihre Symptome besser unter Kontrolle zu bekommen. Dr. Veit empfahl außerdem, gemeinsam nach salutogenen Ressourcen zu suchen und konstruktive Erinnerungen zu stärken. Dazu dienen neben Kenntnissen aus der Anamnese Fragen wie „Wo waren Sie schon mal mutig?“ oder „Was hilft Ihnen beim Aushalten der Angst?“.

Es gilt, die Konfrontation mit den angstauslösenden Situationen zu fördern anstatt Vermeidungsverhalten und Schonhaltung. Die Kollegin riet auch dringend davon ab, die Betroffenen aufzufordern, sich bei einer Verschlimmerung wieder vorzustellen, das könne leicht ausufern. „Sie setzen neue Termine fest, nicht die Patientin oder der Patient!“

Natürlich gilt es, keine organische Erkrankung zu übersehen, aber: „Machen Sie Diagnostik nur solange, bis Sie selbst sicher sind!“, mahnte die Referentin. „Und äußern Sie vorher klar Ihre Ansicht, dass diese Diagnostik vermutlich keine Erklärung für die genannten Beschwerden liefern wird.“ Unter keinen Umständen sollte man technische Untersuchungen zur Beruhigung einsetzen, zumal manche nicht nur unnötig sind, sondern auch Gefahren mit sich bringen können. Im Falle von „echten“ organischen Leiden gilt es, beim Mitteilen der Befunde nicht zu katastrophisieren und auf eine Nocebo-Kommunikation zu achten.

Selbstständigkeit statt Abhängigkeit fördern

Ganz generell gab Dr. Veit folgende Tipps im Umgang mit ängstlichen Patientinnen und Patienten: stabilisieren, Halt geben, beruhigen und die Selbstständigkeit der Betroffenen in der Arzt-Patient-Beziehung fördern, nicht ihre Abhängigkeit. Zur Entspannung empfahl die Referentin autogenes Training, progressive Muskelentspannung nach Jacobsen und Yoga. 

Wie man mit Hypochondrie umgeht

Hypochondrie bezeichnet zwanghafte Befürchtungen, in der Zukunft krank zu sein, unabhängig von eigenen Beschwerden. Abzugrenzen ist sie von:

  • begründete Sorgen, krank zu sein
  • Befürchtungen im Rahmen einer generalisierten Angststörung
  • katastrophisierenden Gedanken bei einer Panikstörung
  • anderen somatoformen Störungen
  • hypochondrischem Wahn, bei dem eine Distanzierung auch kurzfristig nicht gelingt

Für den Umgang mit hypochondrischen Patientinnen und Patienten riet Dr. Veit, die Kontrollmöglichkeiten zu erweitern, Vorwürfen eher auszuweichen und Abweichungen von der Norm sowie die Genussfähigkeit der Betroffenen zu fördern. Nicht zu empfehlen sind Beschwerdeprotokolle zur Symptombeobachtung. Stattdessen vergibt die Kollegin für jede aktive Beschwerde einen unabhängigen Termin und verweist auch auf das Internet.