Intensivmedizin Was Ärzte sagen und was Angehörige hören
Eine Behandlung auf der Intensivstation stellt nicht nur für die Kranken selbst einen dramatischen Einschnitt dar, sondern ebenso für ihre Familien. Auch deshalb wollen Verwandte so genau wie möglich wissen, wie es mit der Zukunft ihres Nächsten aussieht. Die behandelnden Ärzte informieren sie auch durchaus darüber – nur weicht das, was bei den Angehörigen ankommt, oftmals völlig von dem ab, was die Mediziner tatsächlich gesagt haben. Das haben Dr. Whitney Kiker von der Division of Pulmonary Critical Care and Sleep Medicine der University of Washington in Seattle und ihre Kollegen bei 193 Patienten ermittelt.
Die Wissenschaftler fragten nach der Chance, dass Patienten mit schweren Hirnschädigungen wie Schlaganfällen (ischämisch, hämorrhagisch, Subarachnoidalblutung), Schädel-Hirn-Trauma und hypoxisch-ischämischer Enzephalopathie nach Herz-Kreislauf-Stillstand zukünftig wieder ein einigermaßen unabhängiges Leben führen können – und zwar Ärzte, Pflegepersonal und Familien der Betroffenen. Anschließend prüften sie, inwieweit Angehörige die ärztliche Prognose richtig verstanden hatten.
Und dabei fanden sie beinahe schon Erschreckendes heraus: Fast zwei Drittel der nächsten Verwandten hatten die Aussichten auf eine funktionelle Erholung falsch verstanden (61 %). Dabei neigten sie dazu, die Aussagen zu optimistisch zu sehen. Diese Missverständnisse traten besonders häufig auf bei Angehörigen ethnischer Minderheiten (dreimal so häufig), Geschwistern bzw. erwachsenen Kindern im Vergleich zu Ehepartnern (fast fünfmal bzw. mehr als doppelt so häufig) und auch, wenn die zuständige Pflegekraft ein solches falsches Verstehen wahrgenommen hatte (fast viermal so häufig).
Der Familie nicht die Hoffnung nehmen
Eine unzureichende Arzt-Patienten-Kommunikation sei ein bekanntes Phänomen, schreibt die Neurologin Dr. Susanne Muehlschlegel von der University of Massachusetts in Worcester in ihrem Kommentar. Offenbar erstrecke sich das auch auf Gespräche mit Angehörigen, obwohl seit Jahren bereits im Rahmen des Medizinstudiums (theoretisch) optimale Gesprächsstrategien vermittelt würden. Wie sich das aber am besten anpassen lässt, sei schwer zu sagen. Denn man sollte Angehörigen ja nicht die Hoffnung nehmen. Zunächst einmal müsse die Untersuchung von Dr. Kiker und ihrem Team an weiteren Zentren wiederholt werden – möglicherweise ergäben sich daraus Hinweise für zukünftige Interventionen.
Quellen:
1. Kiker WA et al. JAMA Network Open 2021; 4: e2128991: DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2021.28991
2. Muehlschlegel S. JAMA Network Open 2021; 4: e2129079; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2021.29079