Brustkrebs Was bringt die Dokumentation der Versorgungsrealität?
„Daten aus randomisiert kontrollierten Studien zeigen uns, was optimalerweise erreichbar ist, Real-World-Daten spiegeln wider, was tatsächlich erreicht wird“, konstatierte Prof. Dr. Josee-Lyne Ethier, Queen`s University in Ontario.1 Im Rahmen einer Untersuchung führten Forschende eine Metaanalyse von randomisiert kontrollierten Studien (RCT) durch und verglichen diese mit kanadischen RWD in 29 Indikationen.2 Die Autor:innen kamen zu dem Schluss, dass in 28 der 29 Indikationen in der Realität schlechtere Überlebenszeiten mit der jeweiligen Therapie erzielt wurden als in den zugehörigen RCTs.
Im Median war das Gesamtüberleben 5,2 Monate kürzer. Prof. Ethier konstatierte eine „Efficacy-Effectiveness Gap“ zwischen klinischer Studie und klinischer Realität. Auch die Toxizitäten der Therapien waren in der Realität höher. Im Durchschnitt betrug der Unterschied zwischen schweren unerwünschten Ereignissen in RCTs und Hospitalisierung aufgrund von unerwünschten Ereignissen in der Realität 14 %. Die Hospitalisierung diente hier als Surrogatmarker, da man davon ausging, dass gemäß CTCAE als schwer eingestufte Symptome in der Realität zu einer Hospitalisierung führten.
Schlechte RWD-Qualität bedeutet besseres Ergebnis
Die Qualität der RWD sei entscheidend, sagte Prof. Ethier. Eine retrospektive Kohortenstudie ergab, dass die Qualität von RWD-Studien zu neu durch FDA und EMA zugelassene Onkologika im Allgemeinen sehr schlecht war. RWD-Untersuchungen von schlechter Qualität kamen oft zu besseren Wirksamkeitsergebnissen als in der Studiensituation, berichtete Prof. Ethier. Die Autor:innen sahen deutliches Verbesserungspotenzial bei standardisierten Vorgaben für RWD-Studien und für deren Design. Ein Viertel der RWD-Studien war durch die Industrie finanziert.
Quelle:
Boyle JM et al. Eur J Cancer 2021; 155: 136-44; DOI: 10.1016/j.ejca.2021.07.001
Unterschiede im Überleben
Prof. Ethier und ihre Arbeitsgruppe untersuchten den Einsatz von Pertuzumab und T-DM1 beim metastasierten HER2+ Mammakarzinom in der klinischen Praxis in einer populationsbasierten Kohortenstudie. Das Überleben war mit beiden Substanzen schlechter als in den klinischen Studien. Dies sei auf Unterschiede in den Patientinnenpopulationen und vor allem in den vorausgegangenen Behandlungen zurückzuführen, argumentierte Prof. Ethier. So ging der Anteil der Erkrankten, die mit T-DM1 behandelt wurden und noch Pertuzumab-naiv waren, von 74,7 % in 2014 auf 18 % in 2017 zurück.3
Eine weitere Frage, zu der RWD Antworten liefern können: Kommen neue Therapien, die sich in RCTs dem alten Standard als überlegen gezeigt haben, in der Praxis an? Ändern also Ärzt:innen ihr Therapieverhalten und setzen sie die neuen Subtanzen tatsächlich ein? Das Team um Prof. Ethier analysierte den Einsatz von Bevacizumab als Ergänzung der Erstlinienchemotherapie bei Frauen mit Ovarialkarzinom im Stadium III/IV, nachdem hierfür die Zulassung auf Basis der ICON7-Studie erfolgt war. Zum einen ergab sich mit zusätzlichem Bevacizumab in der Realität ein kürzeres Überleben als in ICON7. Zum anderen aber zeigte sich, dass nur 23 % der kanadischen Ärzt:innen nach der Zulassung von Bevacizumab in dieser Indikation die Chemotherapie im klinischen Alltag mit dem VEGF-Inhibitor ergänzten.4
Quellen:
1. Ethier JL. ESMO Breast Cancer Congress 2023; Vortrag: „Real-world data: Towards achieving the achievable in cancer care“
2. Phillips CM et al. Cancer 2020; 126: 1717-1726; DOI: 10.1002/cncr.32697
3. Ethier JL et al. JAMA Oncol 2021; 7: e212140; DOI: 10.1001/jamaoncol.2021.2140
4. Ethier JL et al. J Cancer Policy 2023; 36: 100421; DOI: 10.1016/j.jcpo.2023.100421