Adrenalin-Autoinjektor Wem verschreiben? In welchen Situationen tatsächlich einsetzen?

Autor: Dr. Angelika Bischoff

Die Verschreibung eines Autoinjektors sollte mit einer umfangreichen Erklärung zum Umgang mit dem Gerät und dem Erkennen von Anaphylaxiezeichen einhergehen. Die Verschreibung eines Autoinjektors sollte mit einer umfangreichen Erklärung zum Umgang mit dem Gerät und dem Erkennen von Anaphylaxiezeichen einhergehen. © Andrey Popov – stock.adobe.com

Bei akuter Anaphylaxie ist internationalen Leitlinien zufolge Adrenalin intramuskulär das Mittel der ersten Wahl. Autoinjektoren haben das Notfallmedikament auch für Laien anwendbar gemacht. Da entsprechende Studien fehlen, besteht jedoch Unsicherheit darüber, wer solche Devices bekommen soll und was sie genau bringen.

Aus Registerdaten geht hervor, dass etwa 80 % aller anaphylaktischen Ereignisse ohne Adrenalin von selbst wieder abklingen. Meist wäre also eine notfallmäßige Injektion unnötig. In Einzelfällen allerdings rettet sie Leben, betonen Dr. ­Timothy ­Dribin vom Children’s Hospital Medical Center in Cincinnati und Kollegen.

Die meisten Leitlinien empfehlen die Verschreibung eines Autoinjektors für Patienten mit Anaphylaxieanamnese, sofern sich ein erneuter Kontakt mit dem auslösenden Al­l­ergen nicht sicher vermeiden lässt. Zudem sollen auch anaphylaxiegefährdete Patienten mit bestimmten Risikofaktoren, aber noch ohne  akutes Ereignis das Device bekommen. Zu den relevanten Risikofaktoren zählen beispielsweise Asthma oder eine vorangegangene Reaktion auf eine winzige Allergenmenge. Zwar konnte bislang nicht bestätigt werden, dass diese Faktoren das Anaphylaxierisiko tatsächlich erhöhen, für schlecht kontrolliertes Asthma erscheint es aber zumindest sehr wahrscheinlich. 

In jedem Fall bietet eine leere Anaphylaxieanamnese keine Sicherheit vor derartigen Reaktionen in der Zukunft. Denn dass es bisher nicht zum Notfall kam, könnte auch schlicht daran liegen, dass noch keine Exposition stattgefunden hat. Auch lässt sich das Risiko für zukünftige Zwischenfälle kaum vorhersagen: So können beispielsweise Allergiker schwere Reaktionen zeigen, die zuvor noch keine derartigen Vorfälle hatten. Umgekehrt ist es möglich, dass nach einer ersten Anaphylaxie nie wieder ähnliche Pro­bleme auftreten.

Mit einer eher großzügigen Verschreibung von Adrenalin-Autoinjektoren für alle Risikopatienten ist man zwar nach Meinung mancher Mediziner auf der sicheren Seite. Doch bringt dies insbesondere bei Patienten mit niedrigem Anaphylaxie­rsiko nicht selten mehr Nach- als Vorteile, schreiben Dr. Dribin und seine Kollegen. So kann die Verordnung u.a. Ängste schüren, was die Lebensqualität der Betroffenen mitunter stark beeinträchtigt – von den Kos­ten ganz zu schweigen.

Dazu kommt, dass es vor allem für Laien gar nicht so einfach ist, den richtigen Zeitpunkt für die Adrenalininjektion zu erkennen. Schließlich reicht das Spektrum systemisch-allergischer Symptome von leichter Atemnot bis zum Kreislaufschock. Konsens herrscht darin, dass Patienten mit kardiovaskulären und/oder respiratorischen Symptomen Adre­nalin erhalten sollten. 

Ein Device oder besser gleich zwei?

Unter den Autoren der verschiedenen Leitlinien herrscht kein Konsens darüber, wie viele Autoinjektoren man den Patienten verschreiben soll. Tatsache ist, dass etwa 90 % aller Anaphylaxien auf eine einzige Dosis gut ansprechen. Nur in 10 % der Fälle wird eine zweite benötigt. Mit Blick auf die Kosteneffizienz scheint die Verordnung von zwei Devices nur für Patienten sinnvoll zu sein, die bereits eine Anaphylaxie erlitten haben.

Weniger eindeutig ist die Lage bei Heiserkeit (Larynxödem) oder leichtem Giemen ohne Beeinträchtigung der Atmung. Häufig wird in solchen Fällen erst abgewartet, ob sich die Situation des Patienten verschlechtert. Noch unklarer schaut es im Hinblick auf gastrointestinale und/oder kutane Symptome aus. 

Die meisten Ärzte raten davon ab, Adrenalin bereits bei leichten, nicht anaphylaktischen allergischen Symptomen einzusetzen. Es gibt nämlich keine Evidenz dafür, dass das Medikament den Progress zur Anaphylaxie verhindert. 

Injektionsschwelle hängt von der Vorgeschichte ab

Anders verhält es sich, wenn ein Patient bereits eine beinahe tödliche Reaktion erlitten hat. Dann erscheint es sinnvoll, die Injektionsschwelle eher niedrig anzusetzen.

Lange Zeit wurde Patienten empfohlen, nach der Anwendung des Auto­injektors den Notdienst zu kontaktieren – unabhängig davon, ob noch Symptome bestehen. Da fatale anaphylaktische Ereignisse ex­trem selten auftreten, stellt man dieses Procedere inzwischen infrage. 

Sofern keine schweren Symptome vorliegen und auf eine erste Adrenalindosis rasch und gut angesprochen wurde, erscheint der Besuch in der Notaufnahme verzichtbar. Dagegen sollten Patienten, die nur einen einzigen Auto­injektor zur Verfügung haben und schwere Symptome aufweisen (bzw. Symptome, die nicht innerhalb von fünf Minuten abklingen), unverzüglich den Notdienst kontaktieren. Ein schlechtes Ansprechen auf Adre­nalin, v.a. auf eine zweite Dosis, ist Anzeichen einer schwerer Anaphylaxie. Diese erfordert dringend eine Therapieeskalation in der Klinik, d.h. eine intravenöse Adrenalin­infusion mit Flüssigkeitszufuhr. 

In jedem Fall müssen Patienten, die einen Autoinjektor verschrieben bekommen, gut im Umgang mit dem Device und im Erkennen von Anaphylaxiezeichen geschult werden. Und sie müssen wissen, dass das Gerät keine hundertprozentige Sicherheit garantieren kann.

Quelle: Dribin TE et al. J Allergy Clin Immunol Pract 2023; DOI: 10.1016/j.jaip.2023.02.002