Leukozytose Wenn die Immunzellen mobil machen
Da die weißen Blutzellen unsere Abwehrmechanismen bestimmen, sei jede Leukozytose zunächst einmal ein Alarmzeichen, sagte Prof. Dr. Jan Hastka von der Universitätsmedizin in Mannheim. Er erinnerte aber auch daran, dass nicht jeder Anstieg der Leukozyten pathologisch ist, denn auch körpereigene Substanzen können eine Erhöhung verursachen (Kasten). Der Experte führte einige interessante Beispiele an, wie die Ausschüttung von Kortisol unter Stress: „Ein Säugling hat nach der Geburt ein Blutbild wie bei einer myeloproliferativen Neoplasie, es können Leukozytenzahlen über 30.000 gemessen werden.“ Und auch bei der Mutter ist unter Wehen und postpartum eine Erhöhung der weißen Blutkörperchen auf bis zu 25.000 WBC/µl* zu beobachten.
Adrenalin, Kortison und IL-6 als Treiber der Leukozytose
Über verschiedene Mechanismen können körpereigene Substanzen wie Adrenalin, Kortisol und Interleukin 6 (IL-6) zu einer messbaren Vermehrung der weißen Blutzellen beitragen. Dies sollte man beachten, wenn Patienten mit solchen Substanzen behandelt werden. So verdoppeln sich schon 5 Minuten nach i.v. Gabe von Adrenalin die Immunzellen im Blut. Ein weiteres Beispiel stellt Kortison dar. Einen Tag nach der hämatologisch üblichen Dosis Prednison (ca. 50–75 mg/d) können Leukozytenzahlen bis 20.000 gemessen werden. Ebenso führt IL-6 zu einer biphasischen Vermehrung 3 bzw. 9 Stunden nach Gabe.
Im Zuge der „Exercise-Leukozytose“ sieht man nach körperlicher Belastung zunächst einen Anstieg der Immunzellen um bis zu 20 % im Rahmen einer „Sofortleukozytose“. Darauf folgt eine Spätreaktion nach 3 Stunden mit einer weiteren Erhöhung um 100 %.
Vermutlich wenig verwunderlich ist es, dass auch Rauchen eine Leukozytose verursachen kann. So haben Raucher um 20 % höhere Leukozytenzahlen als Nichtraucher. Selbst nach Abstinenz kann es laut Prof. Hastka Jahre dauern, bis die Werte sich wieder normalisieren. Als „low-grade inflammation“ bezeichnet man die Leukozytose bei Menschen mit Adipositas, ihr Ausmaß korreliert mit dem BMI. Im abdominalen, viszeralen Fettgewebe kommt es zu vermehrter Produktion von Interleukin 6, welches die Ausschüttung der weißen Blutzellen anregt. Doch anders als bei einer Rauchabstinenz hat der Gewichtsverlust laut einer Studie einen direkten Effekt: Nehmen die Betroffenen deutlich ab, verringern sich parallel auch die Leukozytenzahlen.
Die klassische Ursache für eine Leukozytose stellen Infektionen dar. Insbesondere bei schweren bakteriellen Infektionen wie einer Sepsis können sich die Leukozytenzahlen auf bis zu 50.000 erhöhen. Die Zellen zeigen histologisch im Infektionsfall eine andere Morphologie, die sog. toxische Granulation mit prominenter Punktierung, wie Prof. Hastka erklärte. Weiterhin sind Vakuolisierungen der Zellen und sog. Döhle-Körperchen charakteristisch. Vor allem aber sieht man eine Linksverschiebung, also das vermehrte Auftreten unreifer Leukozytenvorstufen im Blut. Ihr Anteil beträgt normalerweise unter 5 %, bei einer Infektion sind es deutlich mehr.
Alarmierend ist es laut Prof. Hastka, wenn es zu einer pathologischen Linksverschiebung kommt. Dies ist der Fall, wenn eine erhöhte Anzahl vor allem sehr unreifer Vorstufen wie (Pro-)Myelozyten und Blasten nachgewiesen wird. „Dann muss man davon ausgehen, dass eine myeloproliferative Erkrankung vorliegt, in erster Linie eine chronische myeloische Leukämie. Hier können Sie teilweise mehrere 100.000 Leukozyten nachweisen“, sagte Prof. Haskta. Wird vom Labor ein Hiatus leucaemicus gemeldet, d.h., es wurden nur noch Granulozyten und Blasten nachgewiesen, hat man es mit einer akuten myeloischen Leukämie zu tun.
Als Wegweiser für Internisten und Hausärzte gab der Referent folgendes schrittweises Vorgehen für Patienten mit Leukozytose vor: Zunächst sind die Leukozytenzahlen maßgeblich. Ab 20.000 WBC/µl ist eine Überweisung zum Hämatologen sinnvoll, darunter kann nach Ermessen des Arztes in der eigenen Praxis durch ausführliche Anamnese weiter abgeklärt werden. Neben Infekten, Entzündungen und Fieber sollten u.a. folgende Faktoren abgefragt werden: Stress, Rauchen, Gewichtsabnahme, Reisen, Medikamente, Allergien und Asthma.
Im nächsten Schritt entscheidet das Differenzialblutbild. „Sobald Blasten nachgewiesen werden, gehört der Patient eingewiesen“, sagte Prof. Hastka. Das Gleiche gelte bei vermehrtem Nachweis von Basophilen und Monozyten. Im Falle einer Eosinophilie sollte man zunächst an eine reaktive Ursache denken (u.a. Allergien, Parasiten, Medikamente) und bei Verdacht auf eine klonale Ursache überweisen. Liegt eine Lymphozytose vor, muss im Labor per Durchflusszytometrie zwischen T- und B-Zellen differenziert werden. Ersteren liegt eine reaktive Ursache zugrunde, bei B-Zell-Nachweis muss mit Verdacht auf eine hämatologische Neoplasie zum Hämatologen überwiesen werden.
Ergibt das Differenzialblutbild eine Neutrophilie, sprechen zusätzlich die folgenden Befunde gegen eine reaktive Ursache und für eine myeloproliferative Neoplasie (MPN): hohes LDH, Basophilie, Splenomegalie und eine ausgeprägte B-Symptomatik. „Spätestens dann gehört der Patient zum Hämatologen überwiesen“, so der Experte.
* white blood count (Anzahl weißer Blutzellen) pro µl
Quelle: 130. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin