Stents Wertvolle Stütze?
Die Ergebnisse der ISCHEMIA-Studie aus dem vergangenen Jahr stützen das zurückhaltende Vorgehen bei Patienten mit stabiler KHK. Im Fünf-Jahres-Follow-up fand sich kein Unterschied bezüglich Herzinfarktinzidenz oder kardiovaskulärem Tod zwischen konservativ und interventionell Behandelten. Allerdings ließ sich eine deutlich höhere Plaquelast bei den rein medikamentös therapierten Teilnehmern nachweisen.
Dr. Rasha Al-Lamee, interventionelle Kardiologin vom Imperial College in London, hält dennoch eine optimierte medikamentöse Therapie für die beste Option. Man müsse sich folgende Fragen stellen:
- Gibt es Grund zur Eile für den Katheter?
- Schadet ein Therapieversuch mit Antianginosa?
- Was sagt man Patienten, was sie von der Revaskularisierung erwarten dürfen?
- Ist die Revaskularisierung immer erfolgreich und risikolos?
Als Ausnahmen mit dringenderem Handlungsbedarf nannte sie Engstellen am linken Hauptstamm, schwere Dreigefäßerkrankungen sowie schwere Einschränkungen der linksventrikulären Funktion.
Pharmakotherapie mindestens drei Monate laufen lassen
Eine aktuelle Studie zeigt, dass Angina-Beschwerden im Verlauf von fünf Jahren auch ohne Revaskularisierung zurückgehen. „Persistieren sie aber oder kehren zurück, haben wir immer noch die Möglichkeit zu intervenieren“, betonte die Referentin. Doch es gibt auch Nachteile der medikamentösen Therapie. Sie kostet Zeit, wirkt eventuell nicht, wird mancherorts schlechter erstattet und hat Nebenwirkungen. Abgesehen davon kann es an Adhärenz mangeln oder Betroffene möchten lieber die Revaskularisierung. „Viele glauben, dass die Intervention sie vor Herzinfarkt und dem Tod bewahrt.“
„In jedem Fall müssen die Patienten wissen, dass es sich bei der Medikation um einen Versuch handelt“, unterstrich Dr. Al-Lamee. Mindestens drei Monate sollte man der Sache geben und die Einstellung immer wieder prüfen. Sie schilderte das Beispiel eines 62-jährigen Mannes, der seit drei Monaten unter Brustschmerzen litt. Die Angiographie zeigte eine proximale Läsion des Ramus interventricularis anterior (LAD).
Nach gründlicher Beratung entschlossen sich Patient und behandelnde Ärzte zur optimierten Therapie mit ASS, Betablocker und potenterem Statin. Nach vier Monaten berichtete der Mann, die Schmerzen seien vollständig verschwunden. Die Beschwerdefreiheit hielt noch ein weiteres Jahr an, dann kehrten die thorakalen Schmerzen zurück, begleitet von Kurzatmigkeit. Die Beigabe von Ranolazin brachte keine Besserung. Nun fiel die Entscheidung für die Stentung der LAD, die erfolgreich verlief. Das Fazit von Dr. Al-Lamee: Nicht hetzen, die Intervention läuft nicht davon.
Dr. David Holmes, Kardiologe von der Mayo Clinic in Rochester, schätzte den Stellenwert der Revaskularisierung etwas anders ein. Zwar stimmte er seiner Kollegin zu, dass Patienten die Möglichkeiten eines Eingriffs völlig überschätzten („Manche glauben, ihr Golfspiel wird dadurch besser“). Er zweifelte aber vor allem an der Adhärenz bei medikamentöser Therapie.
Für Risikopatienten scheint der Herzkatheter ohnehin das vorteilhaftere Verfahren zu sein. Das legen Ergebnisse der in diesem Jahr veröffentlichten APPROACH-Studie nahe. Die Teilnehmer hatten eine hochgefährliche koronare Anatomie, definiert als Dreigefäßerkrankung mit mindestens 70%iger Stenose in allen drei epikardialen Gefäßen oder mindestens 50%ige Hauptstammstenose. Von 9.016 Patienten wurden 3.529 (39 %) konservativ behandelt. Im anderen Kollektiv bekamen 40 % eine perkutane Intervention, 60 % einen Bypass.
Anatomisches Profil sollte in Entscheidung einfließen
Die Revaskularisierungsgruppe hatte nach zehn Jahren einen deutlichen Vorteil im Hinblick auf Tod oder Überleben ohne Herzinfarkt, unabhängig von der Art der Versorgung. Außerdem brauchte sie deutlich seltener eine (erneute) Gefäßeröffnung. „Wir sollten also das koronare anatomische Profil in die Entscheidung für oder gegen den Katheter mit einbeziehen“, so das Resümee von Dr. Holmes. Er gab Dr. Al-Lamee jedoch insofern recht, als dass man das Ganze bei stabilen Stenosen nicht überstürzen muss.
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