Diagnose Vorhofflimmern per Smartwatch Wie geht man mit den patientengenerierten Gesundheitsdaten um?
Heute können fast alle Handys, Smartwatches und Fitnesstracker über photoplethysmographische(PPG)-Sensoren Pulswellen aufzeichnen, vergleichbar mit einem Pulsoxymeter. Außerdem können die Anwendungen in Kombination mit einem EKG-Gerät Elektrokardiogramme aufzeichnen, die einem 1-Kanal-EKG entsprechen. Neueste Geräte können, etwas technisches Verständnis vorausgesetzt, sogar noch mehr.
Untersuchungen haben ergeben, dass absolut arrhythmische PPG-Aufzeichnungen durchaus auf ein Vorhofflimmern (VHF) hinweisen können. Wie oft es tatsächlich vorliegt, ist aber unklar. Die Diagnose eines VHF gilt gemäß Leitlinie bei einer Dokumentation über mind. 30 Sekunden in einem 12- oder 1-Kanal-EKG als gesichert. Bei ausreichender Qualität der Aufzeichnung reicht damit ein VHF, das mittels Smartwatch oder -phone registriert wurde, für die Diagnose in aller Regel aus. Dies schreiben PD Dr. Moritz Sinner von der Medizinischen Klinik und Poliklinik I des LMU Klinikums München und Autorenteam.
Hohe VHF-Last ist keine Diagnosevoraussetzung mehr
Trotzdem besteht ihrer Ansicht nach ein entscheidender Unterschied im Vergleich zu einem auf herkömmliche Weise diagnostizierten Vorhofflimmern: Bislang wurde ein EKG dann veranlasst, wenn über klinische Beschwerden geklagt wurde. Nur bei vergleichsweise hoher VHF-Last gelang ein Nachweis per EKG in der Praxis bzw. per Langzeit-EKG und die Diagnose konnte gestellt werden. Dagegen ist eine hohe VHF-Last angesichts der permanenten Verfügbarkeit unserer elektronischen Begleiter keine Voraussetzung mehr für eine Detektion per Smartwatch oder -phone – es werden vielmehr vor allem einzelne, zufällige Ereignisse registriert.
Das bedeutet nach Ansicht des Autorenteams, dass die Ergebnisse der vorhandenen Studien, die klare Vorteile von medikamentösen Interventionen bei VHF belegen, nicht auf solche nur leicht betroffenen Menschen übertragbar sind, denn die Studienteilnehmer hatten durchweg eine hohe VHF-Last. Das übliche ABC-Schema (Antikoagulation, Symptomkontrolle, Komorbiditäten/kardiovaskuläre Risikofaktoren), das normalerweise bei VHF zum Tragen kommt, ist daher nur eingeschränkt anwendbar.
Wie die Forschenden weiter schreiben, haben zuletzt mehrere Studien eine Antikoagulation mit NOAK bei VHF-Betroffenen untersucht, bei denen die Diagnose im Rahmen von Screening-Verfahren (EKG-Screening oder Schrittmacherspeicher) und nicht aufgrund der Symptomatik gestellt wurde. Darin wurden Endpunkte wie Schlaganfälle oder systemische Embolien nicht oder nur minimal gesenkt; andererseits wurden z. T. Blutungskomplikationen beobachtet. Nach Ansicht der Expertengruppe sollte daher die Indikation zur Antikoagulation bei per Smartwatch oder Smartphone zufällig aufgefallenem VHF nur individuell und zurückhaltend gestellt werden. Die überarbeitete Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie, die auch Empfehlungen für Screening-diagnostiziertes VHF beinhalten soll, wird für Herbst 2024 erwartet.
Da das per Smartwatch oder -phone detektierte VHF fast immer oligo- oder asymptomatisch ist, steht eine Symptomkontrolle im Sinne einer Rhythmus- oder Frequenzkontrolle (Säule B des ABC-Schemas) hier nicht im Vordergrund der therapeutischen Überlegungen. Eine Senkung von Komorbiditäten und Kontrolle von kardiovaskulären Risikofaktoren (Säule C) ist dagegen auch bei nur mildem Vorhofflimmern anzustreben.
Regelmäßig kontrollieren, um Progression zu erkennen
Die Autorengruppe schlägt vor, Patientinnen und Patienten mit einer kurzen oligo- oder asymptomatischen Episode in der Herzrhythmussprechstunde spezialisierter Zentren vorzustellen. Sinnvoll sind auch regelmäßige Kontrolluntersuchungen, um ein mögliches Fortschreiten zu einem symptomatischen VHF nicht zu übersehen.
Quelle: Sinner MF et al. MMW Fortschr Med 2024; 166: 50-53; DOI: 10.1007/s15006-024-3634-8