Epileptische Anfälle Der aktuelle Stand bei Wearables
Epilepsie ist für viele Betroffene und ihr Umfeld eine unberechenbare und beängstigende Erkrankung. Bis zu 60 % aller epileptischen Anfälle und mehr als 85 % der nächtlichen Anfälle werden weder von den Patienten selbst noch von ihren Bezugspersonen erkannt. Dies führt nicht nur zu Verunsicherung, den behandelnden Ärzten fehlen so auch wichtige Informationen über die Krankheitsaktivität.
Abhilfe schaffen könnten tragbare digitale Systeme, sogenannte „Wearables“. Die Sensoren sollen etwa Daten über die Anfallshäufigkeit aufzeichnen, die dazu dienen, Behandlungsfehler zu erkennen und die Therapie bei Bedarf anzupassen. Wenn die Anfallserkennung mit einer Alarmfunktion gekoppelt ist, können die Geräte dazu beitragen, dass die Betroffenen schneller Hilfe erhalten. Dadurch hätten Wearables das Potenzial, „mehrere kritische Lücken in der Epilepsieversorgung zu schließen“, schreibt ein Team um Prof. Dr. Elizabeth Donner von der University of Toronto.
Theoretisch können tragbare Systeme mittels peripherer Sensoren bereits physiologische Signale wie die elektrische Hirnaktivität, die Herzfrequenz, Muskelspannung, Bewegungen oder die elektrische Leitfähigkeit der Haut messen. Doch der Funktionsumfang der Geräte, die derzeit auf dem Markt sind, ist deutlich geringer. Sie werden meist am Handgelenk getragen und arbeiten mit Beschleunigungssensoren, teilweise auch in Kombination mit elektrodermalen Sensoren oder Pulsfrequenzsensoren.
Die Uhr verständigt zuvor festgelegte Notfallkontakte
Die Armbänder können mit einem Smartphone gekoppelt werden, das im Falle eines möglichen Anfalls einen Alarm an vorher festgelegte Kontakte absetzt. Bei einigen Modellen wird außerdem der Standort des Trägers über das Global Positioning System (GPS) erfasst.
Die Funktionalität von Wearables wurde bislang meistens im Kliniksetting untersucht, da sich dort ihre Genauigkeit durch den direkten Vergleich mit validierten Messverfahren ermitteln lässt. Zur Frage, wie gut die Devices in einer natürlichen Umgebung epileptische Anfälle registrieren, liegen bislang nur begrenzte Daten vor. In einer Studie wurde die Leistung von sechs tragbaren Geräten, die in den Vereinigten Staaten und/oder Europa vermarktet werden, überprüft. Dabei lag die Sensitivität für die Detektion von Krampfanfällen zwischen 76 und 95 %. Die meisten Geräte erkannten mehr als 90 % der generalisierten Krampfanfälle – vorausgesetzt, sie waren richtig platziert. Die gepoolte Analyse über alle getesteten Wearables ergab eine mittlere Sensitivität von 91 % für die Registrierung tonisch-klonischer Anfälle.
Nur wenige Geräte können jedoch Anfälle mit ausgeprägten Bewegungen wie tonische, hypermotorische oder myoklonische Anfälle erkennen, da diese in der Regel kürzer andauern als generalisierte konvulsive Anfälle. Beschleunigungs- und Pulsfrequenzsensoren am Handgelenk erkennen diese Anfallstypen mit einer mittleren Sensitivität von 73 bis 89 %. Nicht-konvulsive Anfälle wie fokale Bewusstseinsstörungen kann keines der aktuell erhältlichen Wearables detektieren.
Neben der Sensitivität ist die Rate an Fehlalarmen ein wichtiges Qualitätskriterium. Bei den auf dem Markt befindlichen Geräten, für die veröffentlichte Daten vorliegen, zeigten sich Häufigkeiten zwischen 0,1 und 2,5 fälschlich registrierter Anfälle pro Tag. Ein blinder Alarm erfolgt bei Kindern offenbar öfter als bei Erwachsenen. Die meisten Fehlalarme treten im Wachzustand auf.
Die International League Against Epilepsy und die International Federation of Clinical Neurophysiology haben im Jahr 2021 tragbare Geräte zur Erkennung von konvulsiven epileptischen Anfällen in ihre Leitlinie aufgenommen. Die Fachgesellschaften empfehlen die Verwendung insbesondere dann, wenn die Patienten sich nicht das Schlafzimmer mit einem Partner teilen, aber betreuende Personen innerhalb von fünf Minuten auf einen Alarm reagieren und zu Hilfe eilen können. Dann können schon einfache Maßnahmen wie das Umlagern der Person während oder unmittelbar nach dem Anfall dazu beitragen, Todesfälle zu verhindern.
Bevor die Technologie größere Akzeptanz findet, muss sie den Autoren zufolge zunächst so weiterentwickelt werden, dass damit auch nicht-konvulsive und subtile motorische Anfälle zuverlässig detektiert werden können. Das Interesse der Patienten an den Wearables ist jedenfalls groß, wie Studien zeigen. Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Nutzbarkeit stehen eher im Hintergrund. Wichtig ist den Betroffenen aber, dass die Geräte am Handgelenk getragen werden können oder zumindest kaum auffallen.
30 % der unerwarteten Tode passieren im Wachzustand
Ein häufig übersehener Aspekt, der technischer Natur zu sein scheint, aber auch medizinische Auswirkungen hat, ist die Akkulaufzeit. Aktuell müssen alle Epilepsie-Wearables zum Aufladen abgenommen werden. Dabei besteht aber jedes Mal das Risiko, dass die Patienten vergessen, die Geräte wieder anzulegen. Die Technologie helfe aber nur dann, wenn sie auch wirklich konsistent im Einsatz ist, betonen Prof. Donner und Kollegen. „Einige Anwender glauben vielleicht, dass sie das Gerät nur im Schlaf tragen müssen. Doch 30 % der plötzlichen, unerwarteten Todesfälle bei Menschen mit Epilepsie treten im Wachzustand auf.“
Quelle: Donner E et al. N Engl J Med 2024; 390: 736-745; DOI: 10.1056/NEJMra2301913