Sport und Bewegung am Puls der Zeit Wie lassen sich kardiorespiratorische Fitness und Muskelkraft erhalten?

DDG Herbsttagung 2024 Autor: Antje Thiel

Insbesondere für Menschen mit langjährigem Diabetes und Begleiterkrankungen ist kardiorespiratorische Fitness von Bedeutung. Insbesondere für Menschen mit langjährigem Diabetes und Begleiterkrankungen ist kardiorespiratorische Fitness von Bedeutung. © Mongkolchon – stock.adobe.com

Fitness- und Gesundheitsstudios, die Menschen mit Diabetes ein sicheres Training ermöglichen, können diese Zusatzkompetenz inzwischen mit dem Gütesiegel „Fit mit Diabetes“ nach außen tragen. Treibende Kraft hinter der Initiative ist die DDG Arbeitsgemeinschaft Diabetes, Sport & Bewegung. Ziel ist es, mehr Menschen mit Diabetes für Fitness- und Muskeltraining zu begeistern.

Wenn es gelingt, erklärte Couch-Potatoes zu einem Spaziergang zu motivieren, ist das erst einmal ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Doch natürlich deckt gemächliches Gehen an der frischen Luft nicht alle Aspekte körperlicher Bewegung ab, die für die kardiorespiratorische Fitness von Bedeutung ist. „Dabei entscheidet die kardiorespiratorische Fitness über Morbidität und Mortalität, das gilt auch für Menschen mit chronischen Erkrankungen“, erklärte Dr. Meinolf Behrens vom Diabeteszentrum Minden. Tatsächlich sei die kardiorespiratorische Fitness bei Menschen mit Diabetes bereits im Kindes- und Jugendalter reduziert: Bei Typ-1-Diabetes um 10 %, bei Typ-2-Diabetes sogar um 44,5 %.

Umfassendes Training im Fitnessstudio – aber sicher!

In der Folge kommt es bei Typ-1-Diabetes bereits ab dem 40. Lebensjahr zu einem rascher fortschreitenden Verlust an Muskelkraft als bei Stoffwechselgesunden. Und bei Typ-2-Diabetes begünstigen Hyperglykämie, Bewegungsmangel, Fehlernährung, Insulinresistenz und verminderte Insulinsekretion eine Sarkopenie. Umso wichtiger sei es, durch ein umfassendes Training alle sensomotorischen Beanspruchungsformen abzudecken, wie es etwa in Fitnessstudios möglich ist, die neben Gerätetraining unter qualifizierter Anleitung, Sporttrends wie  Zumba oder Pilates, spezifischen Bewegungsangeboten wie Präventions- oder Rehabilitationskurse und chipkartengesteuertem Zirkeltraining häufig auch Ernährungsberatung und Wellness anbieten.

Damit Menschen mit Diabetes sich beim Training im Studio sicher fühlen können, hatte die AG zwischen 2011 und 2019 bereits einmal in Kooperation mit dem TÜV Rheinland einen Versuch gestartet, Fitnessstudios zu zertifizieren. „Doch dann hat der TÜV die Zusammenarbeit aufgekündigt, weil die Nachfrage nicht ausreichend war“, bedauerte Dr. Behrens. Nun hat die AG einen Neustart gewagt und in Zusammenarbeit mit diabetesDE, der IST-Hochschule für Management und der Experten-Allianz für Gesundheit e. V. ein neues Gütesiegel („Fit mit Diabetes“) entwickelt, das Menschen mit Diabetes ein sicheres Training in Fitness- und Gesundheitsstudios in Deutschland ermöglichen soll.

Mittlerweile sind vier Studios zertifiziert, ein weiteres Audit steht an. „Damit es mehr werden, brauchen wir Ihre Unterstützung“, betonte Dr. Behrens und bat die Diabetolog*innen im Plenum, den Kontakt mit Fitnessstudios in ihren jeweiligen Regionen zu suchen, Fitnesstrainer*innen Hospitationen in ihren Diabeteseinrichtungen zu ermöglichen, Studios als kooperierende Ärzt*innen zu unterstützen und an der Diabetesausbildung von Trainer*innen mitzuwirken. „Unser Anspruch ist es nicht, Trainer zu Diabetologen auszubilden“, betonte er. „Doch sie sollten mit den diabetesspezifischen Organkomplikationen und Notfallszenarien vertraut sein. Wir ahnen manchmal gar nicht, wie groß die Wissenslücken in der Allgemeinbevölkerung und auch bei Trainern in Sachen Diabetes sind. Da geht es um die Basics.“

Aus Sicht von Dr. Sven Zeißler, Studioleiter beim Sportpark Zwickau, verdient insbesondere das Krafttraining besondere Aufmerksamkeit, insbesondere für Menschen mit langjährigem Diabetes und Begleiterkrankungen. Und zwar auch aus ganz praktischen Gründen, wie er am Beispiel von Patient*innen erläuterte, die infolge einer Niereninsuffizienz auf eine Dialyse angewiesen sind: „Wenn ihre körperliche Fitness nachlässt, können sie nicht mehr selbst zur Dialyse kommen, sondern brauchen ein Taxi oder sogar einen Krankentransport. Das ist nicht nur sehr belastend, sondern auch teuer“, erklärte er.

Wie viel Protein braucht es für den Muskelaufbau? 

Für Personen mit Typ-1- oder Typ-2-Diabetes gelten keine gesonderten Empfehlungen für die Proteinzufuhr, erklärte Professor Dr. Karsten Köhler von der Technischen Universität München. Entsprechend gilt für sie die allgemeine Empfehlung, wonach nicht bis wenig aktive Erwachsene täglich mindestens 0,8 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht zu sich nehmen sollten, um ein Gleichgewicht aus Muskelproteinsynthese und -abbau zu erzielen. Erwachsene über 65 Jahre benötigen mindestens 1,0 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht, um Sarkopenie vorzubeugen. 
Klassischerweise wird der Proteinbedarf mithilfe einer Stickstoffbilanz berechnet. Rechnet man nach einer neueren Methode (Indikator-Aminosäure-Oxidation, IAAO), kommt man auf eine optimale Proteinzufuhr von täglich etwa 1,2 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht. Durch eine Aufteilung der Proteinmenge auf mehrere Mahlzeiten (etwa 30 g pro Mahlzeit) könne man die Muskelproteinsynthese optimieren. 
Bei intensivem Training könnten täglich bis zu 1,65 g Protein pro Kilogramm Körpergewicht sinnvoll sein, „doch eine Proteinzufuhr darüber hinaus hat keinen zusätzlichen Effekt“, sagte Köhler. Zugleich betonte er: „Krafttraining ist der entscheidende Stimulus für den Muskelaufbau – Protein allein reicht nicht aus.“ 

Verlust von Muskelkraft betrifft nicht nur ältere Menschen

Doch selbst jemand, der kaum noch gehen kann, profitiert seiner Einschätzung nach vom Krafttraining: „Wenn er sich aus dem Stuhl an einer Sprossenwand hochzieht und mehrere Wiederholungen schafft, dann ist das für ihn unter Umständen ein Krafttraining im hochintensiven Bereich.“ Allerdings dürfe im Rahmen einer Verordnung für Reha-Sport kein Gerätetraining durchgeführt werden, kritisierte Dr. Zeißler, dabei sei es nur mit Krafttraining – anders als bei Ausdauer- und hochintensivem Intervalltraining – möglich, Muskelmasse aufzubauen.

Ein alters- oder krankheitsbedingter Verlust von Muskelmasse wird gemeinhin als Sarkopenie bezeichnet. Weniger bekannt ist hingegen das Konzept von Dynapenie, das aus der Gerontologie stammt und von Professor Dr. Klara Brixius von der Sporthochschule Köln vorgestellt wurde: „Man versteht darunter einen altersbedingten Kraftverlust, der nicht durch neurologische oder muskuläre Erkrankungen verursacht worden ist.“ Eine Dynapenie sei auch unabhängig von der Muskelmasse. Vielmehr werden Veränderungen im Motorkortex oder in der Muskulatur selbst dafür verantwortlich gemacht.

Ein Verlust der Muskelkraft, vor allem in den großen Muskelgruppen, tritt häufig schon vor dem 65. Lebensjahr auf. Daher plädierte Prof. Brixius dafür, nicht nur ältere Menschen zu screenen, sondern auch bei Jüngeren mit entsprechenden Risikofaktoren zumindest einmal die Handgriffkraft zu messen: „Falls die verändert ist, sollte man nach Veränderungen in der großen Muskulatur schauen“, riet sie. Hierfür sind allerdings Spezialgeräte, viel Erfahrung und auch Zeit erforderlich. „Wir bräuchten also praktikable Surrogatparameter zur Messung der Muskelkraft in der Praxis“, meinte die Referentin. Doch diese fehlten bislang ebenso wie konkrete Norm- und Grenzwerte sowie Empfehlungen.

Quelle: Diabetes Herbsttagung 2024