
Den Teufelskreis durchbrechen Wie sich generationenübergreifender Missbrauch verhindern lässt

Die psychiatrische und psychologische Forschung hat einige Risikofaktoren für Kindesmisshandlung aufseiten der Eltern identifiziert: beispielweise eine Psychopathologie, eigene Misshandlungserfahrungen und einen niedrigen Bildungsstatus. Auch eine qualitativ schlechtere Eltern-Kind-Bindung und der Partnerschaftsstatus (z. B. Ein-Eltern-Familien oder Eheprobleme) spielen eine Rolle, wie die Psychologin Denise Dittmann von der Universitätsklinik Aachen berichtete.
Dabei sind viele dieser Risikofaktoren untereinander korreliert. Weisen Eltern eine Missbrauchserfahrung in früher Kindheit auf (early life maltreatment, ELM), begünstigt das eine Psychopathologie. Aber auch wenn eine frühe schlechte Behandlung der Kinder bei diesen zu psychischen Problemen führt, steigt dadurch das Risiko für weitere Misshandlungen – u. a. wegen einer schlechteren Mutter-Kind-Interaktion und Bindung.
In einem multizentrischen Forschungsprojekt sollen diese Faktoren genauer untersucht werden. Die Referentin stellte die Basisdaten einer Stichprobe von 93 Eltern-Kind-Dyaden vor, die in Frühen Hilfen betreut werden und in die Machbarkeitsstudie des Projekts eingeschlossen wurden. Die Kinder waren im Mittel 2,6 Monate alt, wobei auch Schwangere im dritten Trimester aus Hochrisikofamilien dabei waren. Die Bezugsperson war im Mittel 31 Jahre alt und in der Mehrzahl weiblich – nur sieben Eltern in der Stichprobe waren Männer. Ein Migrationshintergrund war häufig, 38 % der elterlichen Bezugspersonen kamen aus Nicht-EU-Ländern. Drei Viertel der inkludierten Eltern waren in einer Partnerschaft.
Bei rund der Hälfte der Erwachsenen gab es psychiatrische Auffälligkeiten. Sie betrafen häufig den affektiven Bereich (Angstspektrum- oder affektive Störungen bei 45 % der Eltern). Rund ein Drittel zeigte Hinweise auf eine Traumaspektrumstörung, ebenso viele auf Suizidalität. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung sei das eine stark belastete Kohorte, betonte Dittmann. Der Childhood Experience of Care and Abuse Questionnaire (CECA.Q) ergab Prävalenzen für eigene Misshandlungserfahrungen der Erwachsenen von 20–30 %, z. B. körperliche Misshandlung durch die Mutter (27 %) oder den Vater (22 %) sowie sexuellen Missbrauch bei 22 %.
Das Eltern-Belastungs-Inventar (EBI) ergab bei 37 % eine suboptimale Bindung. Diese Subskala sei besonders wichtig, erklärte die Psychologin. Sie misst eine distanzierte Beziehung zum Kind, die sich in der Unfähigkeit ausdrückt, sich in den anderen einzufühlen und dessen Bedürfnisse zuverlässig einzuschätzen.
Psychopathologie, Bindung und der sozioökonomische Status der Eltern waren in der Kohorte signifikant mit dem Risiko für Kindesmisshandlung assoziiert. Von den Psychopathologien erwiesen sich vor allem depressive Störungen als Prädiktor für ein erhöhtes Missbrauchspotenzial. Das passe zu Literaturbefunden, sagte Dittmann. Säuglinge depressiver Mütter seien seltener sicher gebunden und depressive Mütter reagierten weniger feinfühlig auf die Signale der Kinder.
Frühe negative Erfahrungen und psychische Probleme der Eltern sollten auch zum Wohl ihrer Kinder frühzeitig diagnostiziert und behandelt werden, so die Referentin. Das seien wirksame Methoden, um einen generationenübergreifenden Missbrauch aufzuhalten.
Quelle: DGPPN*-Kongress 2024
*Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde