Amputation – nein danke! Zweitmeinungsverfahren beim Diabetischen Fuß verhindert Amputationen

Autor: Günter Nuber

„Amputation – nein danke!“ ist eine Kampagne der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der DDG. Medienpartner der Kampagne ist MedTriX Deutschland. „Amputation – nein danke!“ ist eine Kampagne der Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der DDG. Medienpartner der Kampagne ist MedTriX Deutschland. © MedTriX Group

Im Falle der Diagnose zur Amputation haben gesetzlich Versicherte mit Diabetischem Fußsyndrom seit 2021 einen Rechtsanspruch auf eine unabhängige ärztliche Zweitmeinung: Besteht statt einer Amputation eine andere Behandlungsoption? Der Rechtsanspruch ist laut Arbeitsgemeinschaft Diabetischer Fuß der DDG noch nicht hinreichend bekannt, es wird nach wie vor zu viel amputiert. Deswegen startet nun die Kampagne „Amputation – nein danke!“. 

Seit 2021 ist nach einem G-BA-Beschluss der Eingriff Amputation beim Diabetischen Fußsyndrom aufgenommen in die Richtlinie zum Zweitmeinungsverfahren (Veröffentlichung im Bundesanzeiger: Mai 2021). „Es ist kein Gesetz. Der G-BA kann keine Gesetze machen. Er kann Richtlinien erarbeiten, die dann Gesetzescharakter haben“, so Gefäßchirurg Dr. Frank Schönenberg aus Berlin während der Diabetes Herbsttagung von DDG und DGA. „Aktuell hat die Zweitmeinungskampagne, die ja nicht nur den Diabetischen Fuß betrifft, als realistischen Hintergrund, dass man eine Gefahr einer Indikationsausweitung sieht“, sagt Schönenberg – in dem Sinn: „Es wird zu viel amputiert.“ 

Dr. Michael Eckhard (Bad Nauheim, Gießen), Sprecher der AG Diabetischer Fuß, nennt Zahlen: „Insgesamt haben wir jedes Jahr in Deutschland 250.000 Neuerkrankungen am Diabetischen Fußsyndrom.“ Hinzu kommen diejenigen, die noch an aktiven Fußproblemen der letzten Jahre laborieren: „Insgesamt zu behandeln haben wir jedes Jahr um die 600.000 Patienten.“ Amputiert werde in der Größenordnung von 40.000 im Jahr. „Durch eine frühzeitige strukturierte Behandlung verhindern lassen sich – das ist tatsächlich nur eine Schätzung – etwa 70 bis 80 Prozent“, sagt Dr. Eckhard.  

„Amputation – nein danke!“: dringend erforderliche Kampagne

Während der Tagung stellte seine Arbeitsgemeinschaft die Kampagne „Amputation – nein danke!“ vor, „eine dringend erforderliche Kampagne!“. Diese richtet sich laut Dr. Eckhard zuerst an von einer Amputation bedrohte Menschen mit Diabetes selbst und an deren familiäres Umfeld – mit der Frage, wenn es um die anstehende Amputation geht: „Ist das die einzige Alternative? Oder gibt es andere Möglichkeiten? Und wenn ja: Wo und wie finde ich die?“ Stichwort Zweitmeiner*in: Ziel sei es, dass Zweitmeinende die medizinische Notwendigkeit des empfohlenen Eingriffs prüfen und ihre Einschätzung erläutern. Es könne dann sein, dass sie die ursprüngliche Empfehlung zum Eingriff teilen, eine andere Behandlung empfehlen oder von Maßnahmen abraten. 

Was das Informationsportal bietet

Wer sich als Betroffener oder als Behandlungsteam über das Zweitmeinungsverfahren informieren möchte, findet auf amputation-nein-danke.de 

  • Details zum Zweitmeinungsverfahren 
  • Bundesweit gültige Telefonnummer für die Suche nach Zweitmeinenden und Links zu zertifizierten Fußzentren
  • Wichtige Hinweise für das Fachpublikum 
  • Drei Podcasts (zu Gast: Dr. Markus Menzen, Dr. Dirk Hochlenert, Dr. Joachim Kersken, Diabetologen und Experten für das Diabetische Fußsyndrom) und ein Video mit Dr. Michael Eckhard, Sprecher der AG Diabetischer Fuß

In zweiter Linie adressiert die Kampagne hausärztlich oder diabetologisch tätige sowie andere Behandelnde, die sich mit der Versorgung von Menschen mit Diabetischem Fußsyndrom befassen. Und deren Patient*innen von einer Amputation bedroht sind: Auch sie finden auf der Kampagnenseite amputation-nein-danke.de wichtige Informationen zum Zweitmeinungsverfahren, die dabei helfen können, den schwerwiegenden Eingriff zu verhindern. „Die Kampagne richtet sich auch an unsere Krankenversicherungen und an unsere Gesundheitspolitik“, sagt Sprecher Dr. Michael Eckhard.  „Denn was nutzen uns die besten Absichten auf Behandlerseite, wenn das, was sinnvoll und gut wäre hinsichtlich Extremitäten-Erhalt, sich schlecht finanziell darstellt? Und wenn es sich wirtschaftlich gesehen am Ende für ein Krankenhaus eher lohnt, ein Bein frühzeitig zu amputieren, als Maßnahmen einzubringen, den Fuß zu erhalten?“ 

Die Aufnahme der Amputation beim Diabetischen Fußsyndrom in die Zweitmeinungsrichtlinie „erfreut uns als AG Diabetischer Fuß, das war schon lange unser Anliegen, schon seit Gründung der AG 1993!“.

Unerlässlich vor einer Amputation: die Zweitmeinung

„Ihr gutes Recht: Zweitmeinungsverfahren“, heißt es auf der Website – dort kann man sich darüber informieren, wie das Einholen einer zweiten Meinung abläuft und welche Rechte man hat. Unter „Aktuelles & Multimedia“ gibt es Podcasts und Videos von Experten sowie aktuelle Meldungen. Wichtig sind die Hinweise, dass der Arzt oder die Ärztin, der bzw. die die Indikation für eine Operation stellt („Erstmeiner*in“), verpflichtet ist, auf den Anspruch auf eine zweite Meinung hinzuweisen. Dies soll bestenfalls einige Tage vor dem geplanten Eingriff erfolgen, damit Patienten*innen ausreichend Zeit haben, zu entscheiden, ob sie einen Experten konsultieren möchten (z.B. die von der AG Diabetischer Fuß zertifizierten Fußbehandlungseinrichtungen). Wichtig auch: „Das Zweitmeinungsverfahren ist für Patienten kein Muss, sondern ein freiwilliges Angebot.“

„Nie einen Angiologen gesehen“: No-Go!

PD Dr. Kilian Rittig (Teltow) sagte auf der Pressekonferenz der Herbsttagung: „Wir sehen immer wieder Patienten, die eine Amputation erhalten, die aber nie einen Angiologen oder Diabetologen gesehen haben – von der Beteiligung an einem Zweitmeinungsverfahren ganz zu schweigen. Es hat in diesen Fällen oft keine Gefäßdarstellung stattgefunden. Das ist ein No-Go und nicht leitliniengerecht. Das ist etwas, was aufhören muss.“ Dr. Rittig war Präsident der Diabetes Herbsttagung und leitet eine Praxis mit Schwerpunkt Diabetologie und Gefäßmedizin. 

Wozu Vernetzung und eine Struktur der Zweitmeinung führen können, zeigte Dr. Dirk Hochlenert im Symposium „Zweitmeinung bei DFS“: Frühe Zahlen aus 2013 (Netzwerk Diabetischer Fuß Köln und Umgebung e.V.) zeigten, dass zunächst von 22 Amputationsdiagnosen 12 durch den Zweitmeinenden bestätigt wurden – „aber eben auch 10 nicht!“. Seither sind dort Zweitmeinungen im Routinebetrieb eingeführt. 

Zweitmeinung, Vernetzung: „Halbierung möglich!“

„Man sieht am Anfang einen starken Effekt. Das verblasst im Laufe der Zeit, weil die Meinungen sich angleichen.“ Sprich: Bestätigungen der Erstmeinung, weil sich die Meinungen durch das Netz harmonisiert hatten. Aber am Anfang, so Hochlenert, „ist die Halbierung der Amputationen möglich“. 

Dr. Michael Eckhard sagte zusammenfassend zur Website: „Das wird wachsen, das ist noch nicht komplett fertig. Wir freuen uns, dass diese Seite starten kann, auf der genau diese wichtigen Informationen zusammengetragen werden.“ Auch diese Information: „Nicht in allen Fällen lässt sich eine Amputation vermeiden. In einzelnen Fällen kann eine Amputation lebensrettend sein oder in Abwägung aller Für und Wider in der individuellen Situation auch die bessere Variante.“