Hilfseinsatz in Haiti nach Erdbeben Ängste, Armut, Überfälle, Corona
Mehr als 2.000 Tote und mehr als 12.000 Verletzte sowie rund 130.000 vollständig oder stark beschädigte Häuser hinterließ das letzte Erdbeben der Stärke 7,2. Hilfsorganisationen mit Stützpunkten vor Ort leisteten umgehend medizinische Hilfe. Fast 830.000 Haushalte sind laut Welthungerhilfe betroffen. Rund 650.000 Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Der Staat selbst ist angesichts des Ausmaßes der Schäden überfordert mit einer breiten Unterstützung der Betroffenen. Hinzu kommt eine instabile Landesführung. Präsident Jovenel Moïse wurde im Juli ermordet. Der Übergangsministerpräsident wird verdächtigt, am Mordkomplott beteiligt gewesen zu sein.
Zerstörung der Häuser beträgt 100 %
Auch der Verein Humedica entsandte kurzfristig seine Helfer. Mit an Bord war, wie nach dem schweren Beben 2010 mit 300.000 Toten, der Allgemeinmediziner Dr. Michael Brinkmann. Vor elf Jahren war er in der massiv zerstörten Hauptstadt Port-au-Prince eingesetzt. Diesmal lag das Epizentrum 125 Kilometer westlich bei Saint-Louis-du-Sud. Der Hausarzt aus Niederkassel (Rhein-Sieg-Kreis) berichtete an Medical Tribune online sporadisch über die Einsatzlage:
- 29. August
Aufgrund logistischer Probleme und der schwierigen Einschätzung zur Sicherheitslage hat sich der Beginn der eigentlichen Arbeit verschoben. In der Bergregion nördlich von Les Cayes sind die Zerstörungen sehr intensiv. - 3. September
Nachdem wir endlich vom Minister of Health die Arbeitsgenehmigung erhalten und von der UN ein Gebiet ca. 30 km westlich des Epizentrums zugeteilt bekommen haben, sind wir angekommen. Leider liegen die Medikamente noch immer beim Zoll. - 3. September
Mithilfe der Verbindungen aus dem Einsatz 2010 konnten wir uns mit Material ausstatten und tätig werden. Zuerst haben wir die Ambulanz im hiesigen Krankenhaus unterstützt und nach gründlicher Prüfung der Sicherheitslage sind wir nun als Medical Mobile Unit unterwegs. Alte, superinfizierte Wunden, Pneumonien, Durchfall, ca. 100 Patienten/Tag. - 5. September
Wir sind based in Camp Perrin. Das UN Health Cluster hat uns hier acht Communities zur Versorgung mit mobiler Klinik zugewiesen. Die Zerstörungen der Häuser beträgt 100 %. Die medizinische Versorgung ist ansonsten katastrophal! Ärztliche Versorgung gibt es nicht, die Lebensumstände sind von schrecklicher Armut geprägt. - 5. September
Wir führen hier in den Gemeinden neben der Versorgung der gesundheitlichen Folgen des Erdbebens auch die medizinische Grundversorgung durch. Das besondere an diesem Einsatz ist die Coronasituation. Es gibt keinerlei Testmöglichkeiten, dafür reichlich Symptome.
Am 10. September kam Dr. Brinkmann zurück ins Rheinland, wenige Tage später arbeitete er in der Praxis, die in seiner Abwesenheit von Mitinhaberin Dr. Anne Ahrens geführt wurde. Schon vom Flughafen aus hatte er die Einbestellung seiner Patienten abgesprochen.
In einem Telefonat mit Medical Tribune berichtete er schließlich noch einmal ausführlich von seinen Erlebnissen. Etwa 15.000 Einwohner zählt die Region, wo das Team eingesetzt war. Die Menschen leben in weit auseinanderliegenden kleinen Communities. Viele sind zutiefst traumatisiert durch die Naturkatastrophen, auch durch die schwierigen Lebensverhältnisse insgesamt. Es sei schwierig gewesen, ein Kind zum Lächeln zu bewegen, so Dr. Brinkmann. „Das fand ich schon sehr bedrückend.“
Die Gesundheitsversorgung funktioniert normalerweise über kleine Stützpunkte mit Minimalausrüstung. Jetzt gibt es auch diese nicht mehr. Benötigen Menschen ärztliche Hilfe, müssten sie in ein Provinzkrankenhaus gehen bzw. gebracht werden. Allerdings sind die Straßen unbefahrbar und zu Fuß sind die Wege zu beschwerlich. Zudem sind auch diese Häuser in der Region vom Beben betroffen und zudem nicht optimal ausgestattet. Er habe zuerst in einem Krankenhaus gearbeitet, sagte Dr. Brinkmann. Der Stolz des Chefarztes sei ein altes Ultraschallgerät gewesen. Hinzu komme die Gefahr von Überfällen durch Banden. Das Humedicateam habe deshalb ein einmotoriges Kleinflugzeug gechartert, um zum Einsatzort zu gelangen.
Tropische Temperaturen und starke Regengüsse verschlimmern die Lage der Menschen. Viele harren ungeschützt auf dem Boden in Lehm und Matsch aus. Schwerste pulmonale Infekte sind die Folge, viele Pneumonien bei Kindern. „Ob das vielleicht Corona ist, weiß man nicht, weil es keine Testungen gibt“, so der Hausarzt. Unter den Schutzdächern säßen die Menschen auch eng beieinander. Hände waschen, desinfizieren, diese Möglichkeiten bestünden ja auch nicht. Die Impfquote betrage nur 1,4 % im Land.
Das Personal von Humedica – ein Gynäkologe, zwei Internisten, zwei Hausärzte, eine Krankenschwester und zwei Koordinatoren – ist doppelt geimpft und alle tragen FFP-2-Masken. Trotz allem bestehe das Gefühl, dem Coronavirus „nackig gegenüberzustehen“, sagte Dr. Brinkmann. Dies sei ihm und seinen Kollegen ja schon vor dem Einsatz bewußt gewesen. Und: „Mit bewaffneten Milizen habe ich mehr Probleme als mit einem Coronavirus.“
Der Arzt berichtet zuletzt noch über die kooperierende haitianische NGO COFHED, welche sich seit 2003 auch für den Bau von erdbebensicheren Häuser engagiert. Ein Kindergarten, der auch nach dem Erdbeben noch stehe, sei eines ihrer Projekte gewesen. Die danebenstehende Schule sei komplett zerstört. Sie solle jetzt wieder aufgebaut werden. Es liege ihm am Herzen, auf die Möglichkeit des Spendens hinzuweisen.
Spendenkonto:
Sparkasse Kaufbeuren
BIC: BYLADEM1KFB
IBAN: DE35 7345 0000 0000 0047 47
Medical-Tribune-Bericht