Arzneimittelreport: AMNOG-Sparziel verfolgen, Nutzenbewertung ausweiten

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

2011 sind die GKV-Ausgaben für Arzneimittel um 4 % gesunken, aber im ersten Halbjahr 2012 wieder um 3,1 % gestiegen. Als Gegenmaßnahme empfehlen die Herausgeber des Arzneimittelreports (AVR) viele Nutzenbewertungen umsatzstarker patentgeschützter Arzneimittel, die vor 2011 auf den Markt kamen.

In den ersten 20 Monaten der frühen Nutzenbewertung nach AMNOG wurden 25 Verfahren vom Gemeinsamen Bundessauschuss (G-BA) fristgerecht abgeschlossen. Von den 23 Arzneimitteln des Jahres 2011 hatten 14 einen Zusatznutzen in mindestens einer Teilindikation. Acht Arzneimitteln wurde kein Zusatznutzen attestiert.

In diesem Jahr wurden bislang nur elf neue Arzneimittel zur Bewertung einge­reicht. Abgeschlossen sind bislang vier Preisverhandlungen zwischen Herstellern und GKV-Spitzenverband.

IQWiG für Mehrarbeit personell aufrüsten

Das angestrebte Einsparpotenzial des AMNOG von 2 Mrd. Euro könne nur realisiert werden, wenn nun auch Nutzenbewertungen für den patentgeschützten Bestandsmarkt erfolgen, betont AVR-Herausgeber Prof. em. Dr. Ulrich Schwabe vom Pharmakologischen Institut der Uni Heidelberg. Der G-BA hat mit den Gliptinen für die Behandlung des nicht insulinpflichtigen Typ-2-Dia­betes eine erste Arzneigruppe zur Nutzenbewertung aufgerufen, die Hersteller müssen ihre Dossiers bis Ende 2012 vorlegen, damit 2013 die Bewertung beginnen kann.

Auch Uwe Deh, geschäftsführender Vorstand des AOK-Bundesverbandes, ruft: „Rein in den Bestandsmarkt!“ Der erste Akt des AMNOG mit der Nutzenbewertung neu zugelassener Arzneimittel sei gelungen. Doch sei damit erst ein Umsatzvolumen von 134 Mio. Euro angepackt worden – weniger als 1 % des patentgeschützten Marktes. Jetzt habe der zweite Akt zu folgen.

Der Umsatzanteil patentgeschützter Wirkstoffe am Gesamtmarkt der Fertigarzneimittel (= 48 %, Verordnungsanteil: 11,5 %) hat sich laut AVR seit 1995 mehr als vervierfacht und betrug 2011 rund 14,1 Mrd. Euro. Prof. Schwabe meint, dass das IQWiG mehr Personal braucht, um den „gewaltigen Brocken des Bestandsmarktes zusätzlich zu bewältigen“. Und zwar zügig, da die gesetzlichen Zusatzrabatte und der Preisstopp Ende 2013 auslaufen.

Ökonomen kritisieren AVR-Methodik
„Was man nicht berechnen kann, muss man sein lassen“, sagt Ökonomie-Professor Dr. Dieter Cassel, Duisburg-Essen. Er meint damit die im Ländervergleich ermittelten Einsparpotenziale, die die Herausgeber des AVR jährlich zusammen mit einer politischen Botschaft, kundtun. Mit seinem Bayreuther Kollegen Professor Dr. Volker Ulrich hat Prof. Cassel im Auftrag des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie (BPI) die AVR-Berechnungen untersucht.



So fiel auf, dass der AVR z.B. für 2010 ein etwa doppelt so großes GKV-Einsparpotenzial ermittelte wie die Barmer GEK: 15,7 % des Arzneimittelumsatzes versus 7,7 % der Ausgaben. Während im AVR offenbar nur mit durchschnittlichen DDD-Kosten gerechnet wird, berücksichtigt der Kassenreport unterschiedliche Wirkstärken, Packungsgrößen, Darreichungsformen sowie aktuelle Preisstände.

Besonders kritisch sehen die Ökonomen die internationalen Preisvergleiche des AVR, als die Preise der jeweils 50 umsatzstärksten generischen und patentgeschützten Arzneimittel in Deutschland und Schweden (2010) bzw. Großbritannien (2011) verglichen wurden. Demnach schienen unterm Strich sogar Einsparpotenziale zwischen 33 und 41 % des GKV-Arzneimittel­umsatzes möglich! Dabei lagen die Einnahmen der Hersteller für diese Produkte in Deutschland 2010 nur 4,5 % über denen in Schweden, zum Wechselkurs des Folgejahres gerechnet sogar 2 % darunter, hat der BPI nachgerechnet. Die Berücksichtigung der hiesigen Zwangsabschläge und der bislang nicht durchsetzbaren MwSt.-Abschaffung für Arzneien reduziere das vermeintliche  Einsparpotenzial um 76 %. Die Hersteller fühlen sich mit schiefen Vergleichen an den Pranger gestellt. 


Das IQWiG verfüge über 132 Stellen und einen Haushalt von 17,5 Mio. Euro, das vergleichbare britische Nice dagegen über 552 Stellen und Mittel in Höhe von 98 Mio. Euro. Prof. Schwabe trug bei der Präsentation des neuen AVR vor, dass die mit dem AMNOG verknüpfte Einsparhoffung von 2 Mrd. Euro sich schon beinahe mit den zehn umsatzstärksten patentgeschützten Arzneimittel und den zehn führenden Analogpräparaten erfüllen lasse. Bei den Ersten, wenn deren deutscher Preis auf das niederländische Niveau sinken würde (430 Mio. Euro). Bei den Zweiten, wenn sie in bestehende Festbetragsgruppen eingeordnet werden (1,3 Mrd. Euro).

Rabattverträge saugen die Generika-Zitrone aus

Die Methoden-Kritik der Ökonomen Cassel/Ulrich und des BPI an den jährlichen Einsparpotenzialberechnungen versuchte Dr. Dieter Paffrath, AVR-Herausgeber und Vorstandsvize der AOK Nordwest, als „Nebelkerzen“ abzutun. Die Preisvergleiche mit Ländern wie Schweden oder Großbritannien seien „exemplarisch“. In diesem Jahr verkündeten die AVR-Herausgeber ein Einsparpotenzial von 7,8 Mrd. Euro – „etwa 30 % der gesamten Arzneimittelausgaben“ –, wenn hierzulande niederländische Preise gelten würden.

Lobend erwähnte Dr. Paffrath, dass es durch die Rabattverträge der Kassen (mit vermiedenen Ausgaben von 1,6 Mrd. Euro) gelang, das nominale Einsparpotenzial von 1,4 Mrd. Euro in dem Fall, dass bei jeder Generikaverordnung das güns­tigste Produkt gewählt werden würde, mehr als auszuschöpfen. Aufgrund der Einsicht, dass der AVR durch die Betrachtung von Bruttoumsätzen mit Apothekenverkaufspreisen zu hohe Einsparpotenziale ausweist, wurden jetzt erstmals auch die Nettokosten für Fertigarzneimittel betrachtet (also unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abschläge bei Herstellern und Apothekern). Die höchsten Nettokosten pro GKV-Versicherten weist der AVR für Mecklenburg-Vorpommern aus (483), die niedrigsten für Bremen (308 Euro) und den Bundesdurchschnitt mit 378 Euro.