PFAS-Verbot Auch Bauteile von Beamtungs-, Dialyse- oder Herz-Lungen-Maschinen betroffen

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Ein PFAS-Verbot hätte auch für medizintechnische Unternehmen weitreichende Folgen. Ein PFAS-Verbot hätte auch für medizintechnische Unternehmen weitreichende Folgen. © hogehoge511 – stock.adobe.com

Branchenverbände der Medizintechnik schlagen Alarm: Kommt es zu dem von der EU geplanten Generalverbot der Stoffgruppe der Per- und Polyfluor­alkylsubstanzen (PFAS), sähe es für viele Krankenhausbehandlungen schlecht aus.

Es gehört zur Lobbyarbeit von Verbänden, ein düsteres Bild der Zukunft zu malen, um drohende Regularieren abzuwehren, die die Geschäfte ihrer Mitglieder bedrohen. Im Fall der ca. 10.000 Substanzen der heterogenen Industriechemikaliengruppe der PFAS treffen ganz große Argumente aufeinander: Die „ewige“ Belastung der Umwelt inklusive Aufnahme gesundheitsschädlicher Stoffe in Mensch und Tier in der Dimension der Klimakrise oder des Artensterbens. Versus kontinentales Aus für wichtige industrielle Produkte mit gravierenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Folgen – solange es keine Alternativen gibt und es zu keinen Ausnahmeregelungen kommt. 

„Ewigkeitschemikalien“ in Nahrung und Trinkwasser

Zu den per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS) werden ungefähr 10.000 Stoffe gezählt. Sie zeichnen sich durch wasser- und fettabweisende Eigenschaften sowie Stabilität und Langlebigkeit aus. Sie werden u.a. in der Halbleiterproduktion eingesetzt, kommen aber z.B. auch in Leder- und Textilbeschichtungen, Pfannen, Kabelummantelungen, Teppichen oder Skiwachs vor. In die Umwelt gelangt, bleiben sie dort lange Zeit und sind kaum zu entfernen.

„PFAS werden vom Menschen hauptsächlich über Lebensmittel aufgenommen. Der Konsum von kontaminiertem Trinkwasser führt meist zu erhöhten Belastungen im Menschen“, schreibt das österreichische Umweltbundesamt. Betroffen sei „ein beträchtlicher Teil der europäischen Bevölkerung“. Die Anreicherung erfolge in Organen wie der Leber und im Blut. Zu den beobachteten Wirkungen bestimmter PFAS gehören ein erhöhter Cholesterinspiegel sowie die Beeinträchtigung des Immunsystems von Kindern. Im Tierversuch zeigten sich lebertoxische, krebserregende und fortpflanzungsgefährdende Eigenschaften. Allerdings sind die Einflüsse vieler Substanzen der Gruppe noch gar nicht erforscht.

PFAS-Broschüre des deutschen Umweltbundesamtes
Süddeutsche Zeitung: Alles Wissenswerte über PFAS
 

Das Problem dabei sind nicht die Teflonpfannen oder regendichte Outdoor­bekleidung. Stefan Dräger, Vorstandsvorsitzender des Drägerwerks, sieht schwarz für sein Unternehmen, wenn es bei dem geplanten Verbot seitens der EU kommen sollte. Denn es würde z.B. die Dichtungen, Schläuche und Mem­branen in Beamtungs-, Dialyse- oder Herz-Lungen-Maschinen betreffen. Auch ein Endoskop lässt sich nicht ohne PFAS produzieren und nutzen, genauso wenig bildgebende Verfahren, Anästhesiemittelverdampfer oder Narkosegase. 

Ohne PFAS keine Halbleiterproduktion

Auf die Frage, welche Vorkehrungen sein Unternehmen zur Vermeidung eines Exits jetzt treffe, antwortete Dräger: „Keine. Auf einen Atomschlag bereiten wir uns auch nicht vor.“ Selbst wenn sich die eigene Produktion umstellen ließe, würde das nicht reichen, weil auch Vorstufen und Lieferanten betroffen seien.

Der Kreis zieht sich noch weiter. „Die Realisierung der Energiewende und der Aufbau einer heimischen Halbleiterindustrie sind ohne PFAS schlichtweg unrealistisch! Ein Großteil der Schlüsselindustrien in Eu­ropa sind auf den Einsatz von PFAS angewiesen“, betont Dr. ­Stefan Rinck, Vorstandsvorsitzender von Singulus Technologies.

Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA) und der Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik, Spectaris, fordern u.a. die Verbots-Freistellung für den industriell-gewerblichen Einsatz von ­PFAS-Komponenten in geschlossenen Systemen sowie für essenzielle Anwendungen, z.B. für Medizinprodukte, Chip-Produktion oder Energiewende. Vorgesehen ist bereits eine generelle Ausnahme für Arznei- und Pflanzenschutzmittel. Es seien auch nicht alle PFAS schädlich. 18 Fluorpolymere, „of low concern“ gelten nach OECD-Kriterien als unbedenklich. Das könne auf 38 Fluorpolymere übertragen werden. Für sie solle es eine unbefristete Gruppenausnahme geben. 

Über 5600 Kommentare zum Beschränkungsvorschlag

Im Januar 2023 haben das deutsche Umweltbundesamt sowie Behörden aus den Niederlanden, Norwegen, Dänemark und Schweden einen Vorschlag zur Beschränkung aller PFAS bei der europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht. Sie wollen, dass PFAS nur noch dort zum Einsatz kommen dürfen, wo es auf absehbare Zeit keine geeigneten Alternativen geben wird bzw. die sozio-ökonomischen Vorteile die Nachteile für Mensch und Umwelt überwiegen.

Bis zum Ende der öffentlichen Konsultation am 25. September wurden mehr als 5.600 Kommentare von 4.400 Organisationen, Unternehmen und Einzelpersonen aus 53 Ländern bei der ECHA eingereicht. 23 % stammen aus Deutschland. Industrieverbände oder Unternehmen steuerten 68 % der Anmerkungen bei. Die Kommentare werden nun von den Behörden der fünf Länder sowie von zwei Arbeitsgruppen der ECHA geprüft. Der überarbeitete Vorschlag geht dann an die Europäische Kommission, die dann gemeinsam mit den EU-Mitgliedstaaten – voraussichtlich 2025 – über Beschränkungen entscheidet. Ab 2026 oder 2027 könnte dann das Verbot greifen.

Auch die Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) fordert eine „differenzierte Risikobetrachtung“. VDMA und Spectaris verweisen zudem darauf, dass eine KI-gestützte Untersuchung in über 35.000 wissenschaftlichen Quellen für 420 eingesetzte Materialien kein adäquates Substitut mit allen benötigten Produkteigenschaften ergab. 

Übergangsfristen für Suche nach Alternativen nutzen

Natürlich haben Verbände und Unternehmen Gespräche auf politischer Spitzen­ebene geführt. Dort sei ihnen jedoch „Nicht-Zuständigkeit“ signalisiert worden oder auf Übergangsfristen von bis zu 13,5 Jahren verwiesen worden. Angesichts einer überwiegenden Alternativlosigkeit der Stoffe seien diese Fristen aber unrealistisch, sie kämen einem Sofort-Verbot gleich, meinen die Branchenverbände. Be­obachter weisen darauf hin, dass es ohne Übergangsfristen für Verbote keinen Anreiz für die Industrie gibt, nach Alternativen zu den kritischen Stoffen zu suchen.