„Hier im Osten ist alles politisch“ Aus dem Praxisalltag einer internistischen Hausärztin in Ostdeutschland

Gesundheitspolitik Autor: Anouschka Wasner

Durch die vielen Klinikschließungen in strukturschwächeren Regionen wird vieles ambulantisiert, viel auf die Niedergelassenen umgelegt. Durch die vielen Klinikschließungen in strukturschwächeren Regionen wird vieles ambulantisiert, viel auf die Niedergelassenen umgelegt. © Irina Strelnikova – stock.adobe.com

Wenn die Internistin Yvonne Wilke sagt, im Osten sei alles politisch, meint sie damit nicht nur das Thema Impfen. Sondern genauso auch das Vorsorgeverhalten ihrer Patientinnen und Patienten und den Bau ihrer neuen Praxis. Was dahinter steckt und wo sich Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Niedergelassenenalltag in Ost und West auftun, erzählt sie uns in O-Ton Innere Medizin. 

„Nach 35 Jahren Wiedervereinigung ist meine Generation eigentlich im Westen groß geworden“, sagt Yvonne Wilke. Die junge internistische Hausärztin hat sich 2018 mit einer Einzelpraxis in Heyrotsberge niedergelassen, im Einzugsgebiet von Magdeburg. Der Praxisalltag, sagt sie – die Sprechstunde, die Infektwelle, die Hausbesuche und der Papierkram –, der unterscheide sich wohl kaum von dem der Kolleginnen und Kollegen in Westdeutschland.

Zwar zeichne sich ihre Region dadurch aus, dass es auf 90.000 Patientinnen und Patienten neun freie Sitze für die haus­ärztliche Versorgung gibt. Aber man könne eben nicht alles „pauschal über den Osten laufen lassen“. Es gebe überall Inseln auf der Deutschlandkarte, wo es, was das Einkommen und die Versorgung angeht, „magerer aussieht“.

Einfach mal eine Medizin ohne Zeitdruck machen

Trotzdem ist es die Strukturschwäche, die zu ihren großen Herausforderungen gehört. „Zeitdruck haben wir immer, weil wir mehr Patienten behandeln müssen. Der Wunsch, Medizin ein bisschen anders zu machen als im Rahmen der Kassenvorgaben, den wirtschaftlichen Aspekt mal nach hinten runterfallen zu lassen, auf Bürokratie und Digitalisierung mal zu verzichten, das ist einer meiner größten Wünsche – wobei ich mir vorstellen kann, dass es den auch in anderen Regionen Deutschlands gibt.“

Unterschiede zwischen Ost und West gibt es aber trotzdem. Neben der Krankheitslast und der Gesundheitskompetenz, von der sie erzählt, gibt es auch Phänomene wie z. B. die Einstellung ihrer Patientinnen und Patienten zu Impf-Fragen. Bis 2020 haben Befragte in Ostdeutschland noch Impfungen durchgehend häufiger befürwortet als Befragte in Westdeutschland. 2022 waren es dann auf einmal mehr Westdeutsche, die Impfungen befürworteten. Für Kollegin Wilke ist dieser Wandel mit der schlechten Coronapolitik zu erklären. „Impfung, Impfaufklärung und Impfberatung ist in meinen Augen grundsätzlich eine Arztsache. Es ist aber zum Politikum gemacht worden!“ 

Schaut man sich den Honorar­umsatz bundesweit an, stehen die ostdeutschen Bundesländer im Vergleich richtig gut da. Das liegt an den hohen Fallzahlen in vielen ostdeutschen Praxen und der insgesamt höheren Altersstruktur. Das gute Honorar kann die hohe Arbeitslast allerdings nicht aufwiegen. „Die ambulanten Ärzte hier in der Region sind am Limit. Durch die vielen Klinikschließungen in strukturschwächeren Regionen wird vieles ambulantisiert, viel auf die Niedergelassenen umgelegt. Die Zusatzarbeit, die hier am Wochenende gemacht wird, der Haufen an Bürokratie für Krankenkassen und MDK, das ist alles meine Freizeit. Mit mehr Geld bekommt man die Ärzte da nicht glücklich, da hilft nur  eine Umverteilung der Arbeitsbelas­tung. Da ist die Politik gefordert, dass sie in die strukturschwachen Regionen gehen.“ 

Ihren Beruf liebt die Ärztin trotzdem. „Ich kann den jungen Internis­tinnen und Internisten nur empfehlen, überlegt Euch, hausärztliche Versorgung zu machen auf dem Land. Es gibt so viel Freiheit.“ Wer die Begründung dazu hören möchte und mehr zum Praxisalltag in Ostdeutschland, kann das in unserer aktuellen Folge von O-Ton Innere Medizin tun. 

Medical-Tribune-Bericht

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