Den Hausarzt beißen die Hunde
Der Notstand durch Corona ist nicht gottgegeben. Dass es auch bei uns zu wenig Krankenhausbetten, Pflegekräfte, Desinfektionsmittel und bald auch Medikamente gibt, liegt unbestreitbar an der überwältigenden Infektionsentwicklung. Ein Mangel ist aber auch hausgemacht.
Es wird schon gut gehen, haben wir gedacht. Schließlich hat Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme. Das stimmt. Richtig ist aber auch: In der Gesundheitspolitik gilt schon seit Längerem Kostenreduzierung als Maxime. Deswegen gehen auch immer mehr Kliniken, und jetzt auch MVZ, in die Hand von gewinnorientierten Unternehmen. Das spart Kosten, lautet die Begründung. Und die Bertelsmann-Stiftung schlägt vor, Krankenhäuser im großen Stil einfach ganz zu schließen. Gegenstimmen aus Politik und Gesellschaft? Wenige.
Auch in Forschung und Produktion regieren Kostendruck und Gewinnstreben. Monopolisierung durch Preisdumping und Rabattverträge sind die Konsequenz, Produktionskonzentration in China und Indien. Gerade hat die indische Regierung den Export von Hydroxychloroquin, das bei mit COVID-19 assoziierten Lungenentzündungen gute Wirksamkeit gezeigt hat, verboten. Fehlende Rentabilität sei übrigens auch der Grund, dass sich niemand ernsthaft mit Impfstoffen gegen SARS-CoV und MERS-CoV beschäftigt habe, heißt es.
Und: Bescheidene Bezahlung bei großer Verantwortung, Schichtarbeit, Unterbesetzung – die wahren Gründe für den Mangel an Pflegekräften werden ignoriert. Schon lange vor der Corona-Krise mussten Häuser Stationen schließen, weil sie den Personalschlüssel nicht einhalten konnten. Warum wird das erst jetzt ernst genommen?
Und die Niedergelassenen? Die beißen die Hunde. Was an anderer Stelle im System nicht schaffbar ist, steht bei ihnen vor der Tür und muss versorgt werden. Auch hier aktuell unter mangelhaften Bedingungen.
Jetzt höre ich auf zu schreiben. Ich werde ich mich ans Fenster stellen, um den Helden der Corona-Krise zu applaudieren. Das tue ich von Herzen. Aber da Arbeitsbedingungen und Bezahlung dadurch nicht besser werden, komme ich mir schäbig dabei vor.
Anouschka Wasner
Redakteurin Gesundheitspolitik