Drohnen in der Medizin Deutsches Start-up zeigt, wie es geht
Ein deutsches Unternehmen aus Weiterstadt bei Darmstadt gehört zu den weltweit führenden Drohnenunternehmen. 2017 gründeten Tom Plümmer, Jonathan Hesselbarth und Ansgar Kadura die Firma Wingcopter. 2019 erhielt das Start-up seine erste Finanzierung von einer Investmentfirma. Mittlerweile hat es sich zu einem Unternehmen mit mehr als 150 Angestellten entwickelt, das rund um den Globus Aufträge erfüllt.
Medizinischen Gütertransport im „Liefermichel“ getestet
PR & Communications Manager Thomas Dreiling schwärmt von der Zuladung und Reichweite des „Wingcopters 198“: Während vergleichbare Drohnen maximal zwei bis drei Kilogramm transportieren oder nur wenige Kilometer fliegen könnten, transportiere das Darmstädter Fluggerät dank der patentierten Schwenkrotortechnologie auch mit maximaler Zuladung von 4,7 Kilogramm noch über 70 Kilometer weit.
Mit dem geförderten Pilotprojekt „Liefermichel“ suchte das Bundesministerium für Verkehr und Digitales nach einem innovativen Drohneneinsatz. In Kooperation mit der Frankfurt University of Applied Sciences und assoziierten Partnern wie einer Lebensmittelkette, einem Baumarkt und Anbietern lokaler Produkte wurde das Projekt 2023 gestartet. Ziel war es, Konsumgüter zu Kunden in die ländlichen Gebiete des Odenwalds zu liefern.
„Die Resonanz der Bevölkerung in den beiden angeflogenen Ortsteilen von Michelstadt war durchweg positiv. Viele, gerade ältere Menschen, haben die Lieferflüge als Erleichterung in ihrem Alltag erlebt. So mussten sie für kleinere Besorgungen nicht mehr ins Auto steigen und 10 bis 15 Kilometer zum Supermarkt fahren“, erklärt Dreiling. Jedoch konnten die Güter nicht direkt angeliefert werden, sie kamen letztlich per Lastenradkurier zum Kunden. Chief Sales Officer Ansgar Kadura ist davon überzeugt, dass in der Zukunft auch direkte Lieferungen möglich sein werden.
Gegen Ende des Projekts wurde ebenfalls mit der Bärenapotheke aus Erbach kooperiert und nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel per Luftkurier im Odenwald ausgeliefert. Jedoch sei der Zeitraum zu klein für eine detaillierte Analyse gewesen, berichtet Kadura.
Im Projekt habe man jedoch erfolgreich gezeigt, dass die Drohnen sechs Monate lang jeden Tag Strecken von über 14 Kilometer fliegen konnten. Innerhalb kürzester Zeit ließen sich Kunden mit Arzneimitteln beliefern. Großes Potenzial sieht Kadura beim Einsatz von Drohnen, um z. B. Krankenhäuser mit Blutbanken zu verbinden.
Zertifizierung der Drohnen als unbemanntes Fluggerät
„Wir haben mit dem Projekt bewiesen, dass wir unsere Drohnen auch in Deutschland außerhalb der Sichtweite in einem Regelbetrieb betreiben können“, so Dreiling. Das sei wichtig für die Kommunikation mit den Luftfahrtbehörden und eine zukünftige Zertifizierung in der Europäischen Union.
Wingcopter ist in mehr als 15 Ländern aktiv. Aktuell konzentriert man sich darauf, dass die Drohnen in den jeweiligen Regionen als unbemannte Fluggeräte zugelassen werden. Das steigere die Zuverlässigkeit. Das Zulassungsverfahren sei bereits in den Vereinigten Staaten, in Japan und Brasilien im Gange. In Europa, wo die Zulassung harmonisiert ist, geht das Unternehmen ebenfalls das Prozedere an.
Für einen sicheren und zuverlässigen Service braucht es geschultes Personal. Die Drohnen werden von Piloten gesteuert, die man bei Wingcopter lieber als „Control Station Operator“ bezeichnet, da sie an einer Bodenkontrollstation arbeiten, von wo aus sie die Fluggeräte steuern. „Es hat mehr mit dem Job eines Fluglotsen zu tun, weil man vom Boden aus den Flug der Drohne anhand von Parametern überwacht“, erklärt Kadura.
Um die Luftfahrzeuge steuern zu dürfen, braucht man zumindest den Drohnenschein, jedoch sei eine gute Ausbildung, wenn man Drohnen außerhalb der Sichtweite steuern will, unverzichtbar. Diese sei derzeit noch nicht standardisiert. „Da gibt es keine Lizenzen in Deutschland und Europa. Das machen wir selbst intern als Betreiber.“ Im „Flight Operation Center“ kümmern sich verschiedene Expertinnen und Experten wie der Flight Manager oder der Maintenance Manager darum, einen sicheren Flug zu gewährleisten.
Aktuell investiert Wingcopter viel in die Produktentwicklung und hofft auf eine Zertifizierung der neuen Drohnenmodelle. Die Zertifizierung vereinfache es beispielsweise, über bewohntes Gebiet zu fliegen. Sehr wichtig sei auch die Akzeptanz in der Bevölkerung. Das Projekt „Liefermichel“ habe mit seiner positiven Resonanz bewiesen, dass bei den Bürgerinnen und Bürgern Vertrauen gegenüber neuer Technologie bestehe, sagt Kadura.
In Vanuatu im Südpazifik habe man im Jahr 2019 Impfstoffe für Kinder in entlegene Dörfer der Hauptinsel geflogen. „Während die Impfstoffe vorher zu Fuß bis zu sieben Stunden lang durch die Hitze getragen wurden und dabei häufig die Kühlkette unterbrochen wurde, wodurch die Impfstoffe unbrauchbar wurden, konnten wir sie mittels Drohne innerhalb von maximal 30 Minuten liefern“, sagt Dreiling. 2018 wurden in Tansania zusammen mit DHL per Wingcopter Medikamente auf eine Insel im Viktoriasee geflogen und auf dem Rückflug Laborproben transportiert. „Auch hier konnten wir die Lieferzeiten gegenüber herkömmlichen Transportmitteln drastisch verkürzen.“
„Unsere Vision ist es, Menschenleben zu retten“
2022 konnte ein Kind in Malawi gerettet werden. Ohne die schnelle Lieferung eines spezifischen Schlauchs via Drohne an ein Krankenhaus wäre dort ein Neugeborenes, das Wasser in der Lunge hatte, gestorben. Per Lastwagen wäre die Hilfe in der schwer zugänglichen Region viel zu spät angekommen. Vor allem in Afrika, Südostasien und Südamerika sei die Infrastruktur weit schlechter als in Deutschland, sodass es dort eine hohe Nachfrage für medizinischen Gütertransport durch Drohnen gebe. „Unsere Vision ist es, Menschenleben zu retten“, so Kadura.
Aktuell bereitet das Unternehmen zusammen mit Siemens Healthineers ein Projekt in Kenia zur schnellen und effizienten Lieferung von Laborproben von entlegenen Krankenstationen in Zentrallabore vor. „So helfen wir, Diagnosen zu beschleunigen, damit Patientinnen und Patienten früher zielgerichtet behandelt werden können. Wenn das dort gut klappt, planen wir, diesen Dienst auf weitere afrikanische Länder auszuweiten“, erklärt Dreiling.