Dienst-Irrsinn im Land der tausend Berge

Kolumnen Autor: Dr. Frauke Gehring

Der Kollege freut sich über seinen Rundtrip, der nur einen Teil der abgerechneten Kilometer umfasst. Der Kollege freut sich über seinen Rundtrip, der nur einen Teil der abgerechneten Kilometer umfasst. © Fotolia/oldline2

Das Thema in unserer Praxiskolumne: Der „geregelte Notdienst“ auf dem Land.

Wenn die Rapsfelder leuchten, beginnt normalerweise die Zeit, in der sich mein Herz für das Land- bzw. Kleinstadt-Arztleben so richtig erwärmt. Ich genieße den Blick in meinen Garten und rechne mir genüsslich aus, dass ich für den Preis meines Hauses im Sauerland in München nur eine Dreizimmerwohnung bekommen hätte. Vorübergehend packt mich dann Unverständnis darüber, wie auch nur ein einziger Kollege eine Praxis in der Stadt diesem Idyll (mit Autobahnanbindung in die Großstadt) vorziehen kann. Dieses dauert dann aber gerade so lange, bis mich der nächste Notdienst ereilt.

„Geregelter Notdienst“ ist so ein Stichwort, mit dem überall im Land die Praxen um ärztliche Mitarbeiter/innen buhlen. Wie diese Regelung aber aussehen kann, merkt man erst, wenn man drinsteckt im System: „Ich habe hier einen Besuch in Marsberg für Sie!“, sagt die noch freundliche Dame in der Zentrale zu mir. „Sie müssten einen Totenschein ausfüllen.“ Nun ist Letzteres nicht meine Lieblingsbeschäftigung, aber das ist nicht mein Hauptproblem.

„Wo steht denn der zweite Wagen?“, frage ich, weil ich kurz zuvor auf eine einstündige Reise in den Süden nach Winterberg beordert wurde. „In Soest“, lautet die Antwort, „aber der hat noch Besuche in Werl, in Wickede und am Möhnesee zu machen.“ Ich verstehe: „Alles ist höchstens eine Viertelstunde von mir weg“, sage ich, „während ich nach Marsberg 1 Stunde und 15 Minuten fahre. Es ist noch nördlich von Soest, aber für den Kollegen dort eine Dreiviertelstunde näher. Wie wäre es, wenn ich die Besuche in der Nähe übernähme, und der Kollege führe nach Marsberg?“

Der folgende Dialog ist nicht druckbar und endet in der rhetorischen Frage: „Wer disponiert hier eigentlich, Sie oder ich?“ „Leider Sie“, sage ich und werde kurz darauf mit dem Anruf einer Supervisorin beglückt. Sie ist mit mir einer Meinung, dass es nicht sinnvoll erscheint, fast drei Stunden nach Marsberg und zurück zu reisen. Glücklicherweise kommt der Kollege der nächsten Schicht aus Meschede und kann diesen Trip dann übernehmen. Ebenso glücklich mögen die verschiedenen Patienten in der Arnsberger Gegend sein, die ich an diesem Tag noch zeitnah besuchen kann. Und ich bin es, weil die Supervisorin einsichtig und hilfsbereit ist.

„Ja“, lacht mein Fahrer bei der nächsten Fahrt, „Ihr Gebiet ist riesig! Es reicht von Arnsberg über Marsberg, hinunter zum Diemelsee und nach Hallenberg über Winterberg nach Sundern.“ Wer die Muße dazu hat, kann sich das mal auf der Karte ansehen. Ein Wahnsinn! „Man hat aber vor zwei Jahren beschlossen, dass der Doc, der am nächsten dran ist, den Einsatz fährt“, ergänzt mein Fahrer noch, „auch wenn es gebietsüberschreitend ist. Insofern hatten Sie recht mit Ihrem Vorschlag.“ Nur was nützt das, wenn weiterhin so schwachsinnig disponiert wird?

Der Soester Kollege wird die Kilometer von Soest jeweils nach Werl, Wickede und Möhnesee abrechnen und sich ins Fäustchen über seinen Rundtrip lachen, der natürlich nur einen Bruchteil der abgerechneten Kilometer umfasst. Schließlich wird jeder Besuch so abgerechnet, als ob man von seiner Praxis aus fährt. Die Krankenkasse wird das zähneknirschend bezahlen müssen. Der Disponentin ist es egal und ich frage mich, ob mich mein „geregelter Notdienst“ beim nächsten Mal zum Diemelsee führt. Was mache ich dann? Die Organisation einschalten, die anbietet, alle Dienste zu übernehmen, dann aber als Gesamtpaket für 350 € pro Dienst? Also auch für schlappe vier Stunden an einem Donnerstagabend? Teuer. 3500 € schneide ich mir nicht mal so aus den Rippen, abgesehen davon, dass dann ja auch die Einkünfte durch die Dienste wegfallen.

Ich fürchte, ich werde so lange weiter Deutschlandreisen machen, bis irgendwer diesem idiotischen Gebietszuschnitt ein Ende macht. Wenn es dann ein Dienst mehr sein sollte, wäre es mir das wert. Bis dahin freue ich mich darüber, dass es in meinem Bereich wenigstens immer einen Parkplatz gibt!