„Doctors for Assange“ verurteilen Umgang mit Whistleblower

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Aktuell haben die USA Assanges Auslieferung beantragt. Sollte das passieren, drohen dem Gründer der WikiLeaks-­Plattform 175 Jahren Haft. (Agenturfoto) Aktuell haben die USA Assanges Auslieferung beantragt. Sollte das passieren, drohen dem Gründer der WikiLeaks-­Plattform 175 Jahren Haft. (Agenturfoto) © iStock/innovatedcaptures

Sollte Julian Assange in der Zelle sterben, dann sei er „effektiv zu Tode gefoltert worden”, schreiben die Members of Doctors for Assange im Lancet. Darin rufen sie auch zur Unterstützung auf.

Zahlreiche Mediziner fordern das Ende der Folter und der medizinischen Vernachlässigung von Julian Assange. Erstmals hatten sich 60 Ärzte damit im November 2019 über The Lancet an die Öffentlichkeit gewandt. Jetzt bekräftigten insgesamt 140 Mediziner aus verschiedenen Ländern weltweit die Forderungen. Auch deutsche Ärzte sind darunter, Fachärzte ebenso wie Allgemeinmediziner.

Veröffentlicht wurden in diesem Zusammenhang u.a. Schreiben an die britische Regierung. Darin heißt es: „Wir schreiben diesen offenen Brief als Ärzte, um unsere ernsthafte Sorge über den physischen und geistigen Zustand von Julian Assange auszudrücken.“ Dass Assange einem Klima der Angst und Einschüchterung ausgesetzt ist, verurteilen die Unterzeichner als rücksichtslos, gefährlich und grausam. Dass sich dies im Herzen von London abspiele, verursache große Traurigkeit und Scham.

Assange war 2012 wegen eines internationalen Haftbefehls in die ecuadorianische Botschaft in London geflüchtet. 2019 wurde ihm der Asylstatus wieder aberkannt, seitdem ist er in Haft. Dem Journalisten droht ein Strafprozess in den USA wegen geleakter Dokumente zu Menschenrechtsverletzungen der US-Armee in Afghanistan. Assange sah sich zwischenzeitlich auch dem Vorwurf der Vergewaltigung ausgesetzt. Im November 2019 stellte die schwedische Staatsanwaltschaft das Verfahren jedoch ein. Man fand heraus, dass es nach Aussagen der Frau nie eine Vergewaltigung gegeben hat.

Es sind nicht mehr nur politische Sympathisanten des Whistleblowers, die den Umgang mit Assange kritisch sehen. Auch der Schweizer Experte für internationales Recht und UN-Berichterstatter für Folter Nils Melzer setzt sich pro Assange ein. Im Internetkanal acTVism Munich bemerkt er zu den von WikiLeaks veröffentlichten Informationen zu Kriegsverbrechen seitens der USA, dass es hierzu einen 7000-seitigen Bericht des US-Senatskomitees zu systematischer Folter im Namen der US-Regierung gebe. Bestraft worden sei dafür niemand, verfolgt würden aber jene, die die Sache öffentlich machten wie Assange.

2018 sei ein Verteidigerteam an ihn herangetreten mit der Bitte, sich der Sache anzunehmen, so Melzer. Zuerst habe er abgelehnt. Schließlich hatten die Medien Assange als Vergewaltiger, Hacker, Spion und Narzisst bezeichnet. Als ihm die Verteidiger 2019 Beweismaterial schickten, sei er neugierig geworden, die Vorwürfe schienen nicht stimmig. „Diese ganze Geschichte ist unhaltbar, sie bricht zusammen und je tiefer man gräbt, umso mehr Schmutz kommt ans Licht“, konstatiert der Rechtsexperte. Schließlich reiste er mit einem Psych­iater und einem Rechtsmediziner ins Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London, um sich ein eigenes Bild zu machen. Und kam zu dem Schluss, dass Assange klare Anzeichen von psychischer Folter zeigt.

„Psychische Folter ist nicht Folter light“

Melzer wandte sich an die britische Regierung. Fünf Monate dauerte es bis zu einer Antwort. Jeder Foltervorwurf und jede Verfahrensverletzung wurden zurückgewiesen. Zugleich verschlechterte sich Assanges Zustand rapide, sodass die Befürchtung bestand, er werde sterben. „Und lassen Sie mich eines sagen“, betonte der Berichterstatter, „psychische Folter ist nicht Folter light.“ Sie ziele darauf ab, die Persönlichkeit eines Menschen zu zerstören, bis irreparable Schäden die Folge seien. Einige Schäden hätten bei der Untersuchung bereits festgestellt werden können: extremer Stress, chronische Angst, ein intensives psychologisches Trauma. Er sei des Sonnenlichts, frischer Luft, der Fähigkeit, sich zu frei zu bewegen beraubt. Das weitere Ausgesetztsein von Willkürlichkeit und Missbrauch könnten Assange das Leben kosten, warnte Melzer öffentlich.

Noch vor einem Jahr sei für ihn undenkbar gewesen, dass Staaten wie Großbritannien oder Schweden sich weigern, mit ihm als Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen zu sprechen. Melzer ist sicher, würde Assange an die USA ausgeliefert, würde er durch die Haftbedingungen bis ans Lebensende Folter ausgesetzt sein. Es sei höchste Zeit, einen Mann, der „mehr als genug getan hat, um unserer Gesellschaft Dienste zu erweisen“, nicht mehr zu diskreditieren.

Medical-Tribune-Bericht