Künstliche Intelligenz Einfacher mit einem Klick!?
Noch ehe die Panik darüber, eine professionelle E-Mail schreiben zu müssen, in mir aufsteigen kann, fällt mir bereits eine Lösung ein und ich lehne mich wieder entspannt in meinem Schreibtischstuhl zurück. ChatGPT. Meine Rettung. Schutzheiliger der E-Mail-Phobiker*innen. Ich öffne die Website des Chatbots und tippe meinen Wunsch nach einer ausformulierten E-Mail ein. Sofort erscheint ein Entwurf, den ich nun nur noch etwas abändern muss. Fertig. Zufrieden setze ich einen Haken neben den Punkt „E-Mail“ auf meiner To-do-Liste und schaue nach der nächsten Aufgabe. „Artikel für diabetes zeitung“ steht da in Rot, sogar mit einem dicken Ausrufezeichen dahinter. Wenn das doch nur so einfach wäre wie die E-Mail, denke ich, während mein Blick wieder auf die Website des Chatbots fällt. Unweigerlich frage ich mich, ob ChatGPT mir auch in dieser Angelegenheit nützlich sein könnte – oder ob Menschen mit Diabetes mellitus einen Nutzen daraus ziehen könnten.
Fragen zu Diabetes sind etwas anderes als eine E-Mail
Noch bevor ich mit der Recherche beginne, frage ich die künstliche Intelligenz (KI) einfach selbst. Nach einigen Formulierungsversuchen habe ich die richtige Frage gefunden und ChatGPT zeigt mir, wie das System zur Informationssuche, Ernährungsberatung, Medikamentenmanagement oder auch Motivation eingesetzt werden kann. Zeitgleich betont der Chatbot, dass er keine medizinischen Ratschläge erteilen kann. Doch allein die informativen Inhalte, die die Plattform gibt, werden in den wissenschaftlichen Auswertungen der KI hervorgehoben. So kann der Chatbot Patient*innen bei ihrem Wissensstand abholen und sie individuell über ihre Erkrankung aufklären. Aspekte wie emotionale Zuwendung oder die Einbettung der ausgetauschten Informationen in einen genaueren Kontext hat die menschliche Interaktion dem Chatbot jedoch noch voraus.
Quellen zu ChatGPT-Studien in Zusammenhang mit Diabetes:
- Sagstad MH et al. JMIR Form Res 2022 Apr 18; 6 (4): e28091; doi: 10.2196/28091
- Sharma S et al. Cureus 2023 May 1;15 (5): e38380 ; doi: 10.7759/cureus.38380
- Huang C et al. J Transl Med 2023 Jul 26;21 (1): 502; doi: 10.1186/s12967-023-04354-6
- Sng G et al. Diabetes Care 1 May 2023; 46 (5): e103–e105; doi : 10.2337/dc23-0197
Der Einsatz von KI zur Wissensvermittlung an Menschen mit Diabetes wurde bereits wissenschaftlich untersucht. In einer Studie der Arbeitsgruppe um Chunling Huang und Lijun Chen aus China wurde überprüft, wie genau Fragen zu Diabetes von ChatGPT beantwortet werden. Hierfür wurden zunächst häufige Fragen und Missverständnisse recherchiert. Anschließend wurden zwölf Fragen ausgewählt und vom Chatbot beantwortet. Die Fragen lauteten zum Beispiel „Führt das Trinken von zuckerhaltigen Getränken zu Diabetes?“ oder „Kann Diabetes bei normalem Nüchternblutzucker ausgeschlossen werden?“. Die Qualität der Antworten wurde dann von Endokrinologie-Expert*innen bewertet und auf einer Skala von 1 bis 10 eingeordnet. Drei Antworten wurden mit 10 (sehr genau) bewertet. Die übrigen Antworten erhielten ebenfalls gute Bewertungen, waren aber teilweise nicht vollständig oder nicht präzise genug.
Im Vergleich mit herkömmlichen Methoden der Patientenschulung wie Gruppenkursen oder Einzelberatungen wird der einfache Zugang zu ChatGPT als großer Vorteil angesehen. Der Zugriff auf das Programm erfordert jedoch technische Kenntnisse und Ressourcen, die vor allem jüngere Menschen haben.
Feinheiten wie die Einheiten von BZ-Werten können fehlen
Trotz der Vorteile von KI ist es entscheidend, ihre Grenzen und Risiken zu berücksichtigen. So sind Chatbots auf die Datensätze begrenzt, auf die sie trainiert wurden. Im Fall von ChatGPT wurden allgemeine Informationsdatenbanken verwendet, wodurch medizinische Feinheiten wie verschiedene Insulintypen oder unterschiedliche Einheiten von Glukosewerten fehlen können. Wenn hierdurch Fragen wie „Mein Blutzucker ist 30, was soll ich tun?“ aufgrund von fehlenden Details falsch beantwortet werden, kann das zu ernsthaften Gesundheitsrisiken führen.
Präziser: mit Hilfe von KI entwickelte Apps
Doch gerade der Umgang mit Glukosewerten und Insulininjektionen ist für Menschen mit Diabetes eine anspruchsvolle tägliche Aufgabe. Um hierbei Unterstützung zu bieten, werden mit Hilfe von KI Apps entwickelt, die Glukosedaten auswerten, Trends erkennen und Maßnahmen empfehlen, um den Glukosespiegel in einem gesunden Bereich zu halten. Die Wissenschaftler Peter Jacobs und Leas Wilson von der Oregeon Health & Science University entwickelten mit ihrem Team die App DailyDose, welche den Nutzenden Empfehlungen zu Insulindosen und Verhaltensweisen gibt.
Quellen zu Decision-Support-Tools (App „DailyDose“)
- news.ohsu.edu/2023/01/10/artificial-intelligence-diabetes-experts-combine-forces-for-blood-sugar-management-study
- Mackenzie SC et al. 2024 Feb; 67 (2): 223-235; doi: 10.1007/s00125-023-06038-8
Bereits 2020 konnte die Forschungsgruppe in einer Studie die Vergleichbarkeit der Empfehlungen der App mit denen von Fachärzt*innen für Endokrinologie und Diabetologie zeigen. Für 2024 ist eine multizentrische Studie geplant, in der Menschen mit Typ-1-Diabetes über 38 Wochen beobachtet werden. Teilnehmende, die nach 12 Wochen nicht allein von der Nutzung der App profitieren, erhalten zusätzlich menschlichen Kontakt (Diabetesberater*in, Psycholog*in).
Internationales MELISSA-Projekt läuft bis zum Jahr 2026
Einen ähnlichen Ansatz verwendet das internationale Forschungsprojekt MELISSA (Mobile Artificial Intelligence Solution for Diabetes Adapted Care). In einem Verbund von zwölf Partnern aus sieben Ländern entwickeln Forschende unter der Koordination der Universität Maastricht eine KI-basierte Anwendung für das Selbstmanagement von Typ-1- und Typ-2-Diabetes. Das Projekt startete 2022 und ist auf vier Jahre angelegt. Eine Funktion der App ist es, die Menge der verzehrten Kohlenhydrate anhand von zwei Fotos zu erkennen und einen entsprechenden Vorschlag für die zu applizierende Insulindosis zu geben. Es ist geplant, die App im Rahmen einer klinischen Studie mit herkömmlichen Methoden zu vergleichen.
Quellen zu MELISSA:
Eine spannende Perspektive, denke ich, und setze einen weiteren grünen Haken auf meine To-do-Liste. Ich habe es also doch noch geschafft, etwas Unterstützung für meinen Artikel von der KI zu bekommen, wenn auch eher indirekt. Beim nächsten Punkt auf der Liste wird dies schon schwieriger. „Müll runterbringen“. Mit einem Seufzer stehe ich auf und schlurfe in die Küche. Irgendwo hat auch KI ihre Grenzen.