Facharzt to Go? Rückkehr zum Krankenschein!
Ohne einen robusten Optimismus kann man wahrscheinlich kein Ministeramt bekleiden, darum wundere ich mich nicht über die Pläne unseres Ministers, jedem gesetzlich Versicherten einen Facharzttermin binnen eines Monats verschaffen zu wollen. Dass aber unsere KV sich nicht nur gegen diese Pläne nicht wehrt, sondern auch noch einwilligt, Vermittlungsstellen zu schaffen, beweist mir nur, wie weit entfernt von der kassenärztlichen Realität unsere Vertreter dort in abgehobenen Sphären segeln.
»Herzneurotiker noch weit nach Feierabend beglücken ... «
Wieder einmal hilft das Internet, einen Blick in die Welt der „Möchtegern-Facharztpatienten“ zu werfen: „Ich habe hin und wieder ein Stechen im Herz!“, barmt da eine 23-Jährige, die sich zuvor zu Übergewicht und Sportabneigung bekannt hat, und ihre Tage meist mit Surfen im Netz verbringt. „Ich hab sooo eine Angst! Aber ich kriege erst in zwei Monaten einen Termin beim Kardiologen. Da könnte ich längst tot sein!“ Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass die Dame vor einem halben Jahr schon kardiologisch komplett durchuntersucht wurde und man ihr geraten hat, gegen ihr BWS-Syndrom mit Sport und anderer Lebensführung anzugehen.
Nun aber leuchtet Abhilfe am Horizont: Die geplante Vermittlungsstelle für Fachärzte! Wenn die niedergelassenen Praxen abwinken, darf das örtliche Krankenhaus einspringen. Die Begeisterung der Kardiologen dort, die vor Arbeit jetzt schon nicht mehr wissen, wie ihre Ehegattin bei Tageslicht aussieht, kann ich mir gut vorstellen. Was für ein Traum(a), solche Herzneurotiker noch weit nach Feierabend beglücken zu dürfen! Darf das Krankenhaus das eigentlich auch ablehnen?
Neulich saß eine ähnlich junge und voluminöse Dame bei mir in der Praxis: „Zu dem Orthopäden XY gehe ich nie mehr! Statt mir zu helfen, hat er gesagt, ich solle abnehmen. Dabei helfen seine Spritzen überhaupt nicht. Ich will endlich eine MRT! Können sie mich nicht überweisen? In der Praxis von YZ kriege ich erst in sechs Wochen einen Termin!“. Nein, kann ich nicht, denn ich bin ganz der Meinung des konsultierten Orthopäden. Wie schön für die Patientin, wenn sie sich pikiert an die geplante Vermittlungsstelle wenden kann, wo man ihr mit einem Termin zu Diensten sein will. Ob das geht? Dazu später.
»Drive-Through-Facharzt für Befindlichkeitsgestörte«
„Ich habe immer noch Knieschmerzen“, klagte vor Kurzem ein älterer Herr, der stramm auf die 90 zugeht. „Mein Orthopäde sagt, er könne nichts mehr für mich machen, was ich nicht selbst bezahlen müsse, und die anderen Ärzte wollen mir einfach in den nächsten Wochen keinen Termin geben. Ein neues Knie will ich aber nicht und Medikamente haben mir zu viele Nebenwirkungen. Akupunktur hat auch nicht geholfen. Und jetzt wollte mein Arzt mir ja diese teuren Spritzen ins Knie geben, die ich selbst bezahlen soll. Können Sie mir nicht einen Termin bei einem anderen Orthopäden besorgen?“ Kann ich nicht, die Vermittlungsstelle wird es aber versuchen. Was auch immer der Knochenarzt dann mit Herrn „Wasch-mir-den-Pelz-aber-mach-mich-nicht-nass“ anfängt. Das sind nur Beispiele, die nach außen dringen.
Die Patienten, die Neurologen wegen simpler Kopfschmerzen oder ALS-Angst überfluten, Kardiologen wegen ihrer Herzneurose belästigen und Orthopäden zur Verjüngung aufsuchen möchten, sind Legion. Natürlich hatten wir die Lösung schon vor 15 Jahren: Den guten alten Krankenschein, den der Hausarzt bekam und dafür sorgte, dass die Spezialisten nur bei entsprechenden Fragestellungen aufgesucht werden konnten. Aber das sind tempi passati und nun kämpfen die Rezeptionen der Fachärzte, um der Brandung anflutender Befindlichkeitsgestörter Herr zu werden. Wo die Fachärzte zur Versorgung herkommen sollen, wurde mir noch nicht plausibel vermittelt. Schnitzt man im Gesundheitsministerium heimlich Facharzt-Legionen, oder führt man Spezialisten containerweise aus dem Ausland ein?
Ich kenne keinen, der aus lauter Boshaftigkeit Termine verweigert; nur welche, die jetzt schon nicht wissen, wie sie ihre vielen Patienten noch fach- und zeitgerecht versorgen sollen. Da man den Krankenschein leider nicht wieder einführen will, habe ich mir eine andere Lösung überlegt: Den „Facharzt to Go“, gerne auch als „Drive-Through-Facharzt“ angeboten. Die Kollegen sitzen in kleinen Büros, an deren Servicefenstern die Patienten vorbeiflanieren oder -fahren. Drei Minuten werden reichen um festzustellen, ob wirklich weitere fachärztliche Hilfe nötig ist; dann wird sie sich finden lassen. Falls nicht, erfolgt die Rücksendung zum Hausarzt oder gern zum Psychologen.
Zwei Fragen nur bleiben ungeklärt: Wo kriegen wir die nötigen Psychologen und wo die Fachärzte her, die gerne an Servicefenstern sitzen? Vielleicht sollten wir den Krankenschein doch wieder einführen.