Führt die Erdgasförderung bei Hannover zu mehr Krebsfällen?

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Der Bericht zu den Jahren 2003 bis 2012 weist für die Samtgemeinde Bothel höhere Tumorraten aus. Der Bericht zu den Jahren 2003 bis 2012 weist für die Samtgemeinde Bothel höhere Tumorraten aus. © openstreetmap.org/CC BY-SA

Nordöstlich von Hannover liegt die Samtgemeinde Bothel, ein Gemeindeverband inmitten von Feldern und Wiesen. Die Welt scheint hier noch in Ordnung. Doch es geht die Angst um vor Krebs.

Der Bericht des Epidemiologischen Krebsregisters Niedersachsen (EKN) zu den Jahren 2003 bis 2012 weist für die Samtgemeinde Bothel höhere Tumorraten aus: In diesen Jahren erkrankten gezählte 533 Menschen neu an invasiven Tumoren – 494 Fälle wären laut Krebsregister zu erwarten gewesen. Signifikant erhöht war die Erkrankungsrate bei Leukämien und Lymphomen (insbesondere bei multiplen Myelomen und Non-Hodgkin-Lymphomen) mit 41 Neuerkrankungen gegenüber 21,3 erwarteten bei Männern (Frauen: 15 zu 16,8). 2017 beauftragte das Niedersächsische Sozialministerium zwei Studien. Thema der ersten: „Zusammenhang von hämatologischen Krebserkrankungen und der wohnlichen Nähe zu Schlammgruben(verdachtsflächen) und zu Anlagen der Kohlenwasserstoffförderung in Niedersachsen“. Den Auftrag für diese Abstandsstudie erhielt das Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin am Uniklinikum München.

Radius von einem Kilometer um die Wohnung betrachtet

Für die Studie „Humanbiomonitoring in der Allgemeinbevölkerung in der Nachbarschaft von Anlagen der Kohlenwasserstoffförderung in Niedersachsen“ wurde das Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg beauftragt. Die Ergebnisse der zweiten Untersuchung werden im Sommer erwartet. Die Ergebnisse der ersten liegen seit Dezember vor.

Die Münchner Autoren wählten für ihre Studie ein registerbasiertes Fall-Kontroll-Design. Eingeschlossen waren Personen aus 15 Landkreisen des sich über Niedersachsen erstreckenden Gürtels an Erdgas- und Erdölvorkommen, die dem EKN aufgrund einer hämatologischen Krebserkrankung gemeldet worden waren (N=3978 Fälle). Ihre Daten wurden mit den Daten zufällig aus Einwohnermelderegistern gewählten nicht erkrankten Personen (N=15 912) verglichen. Als sogenanntes Expositionsmaß galt das Vorliegen von Standorten der Kohlenwasserstoffförderung und Schlammgrubenverdachtsflächen im Radius von einem Kilometer um die Wohnung der Probanden.

Die Analyse belegte jedoch für die gesamte Studienregion keine Zusammenhänge zwischen Wohnnähe zu Förderstandorten und dem Auftreten hämatologischer Krebserkrankungen. Unterschiede in den Assoziationen für Männer und Frauen konnten ebenfalls nicht gezeigt werden, heißt es. Die beiden Expositionsmaße seien allerdings auch nicht mit Non-Hodgkin-Lymphomen, multiplen Myelomen und akuter lymphatischer Leukämie assoziiert gewesen. Ergänzende Analysen erschienen den Autoren jedoch sinnvoll, denn Sekundäranalysen zeigten durchaus Verbindungen zwischen der Wohnnähe und Standorten, insbesondere im Landkreis Rotenburg.

Dass der US-amerikanische Mineralölkonzern Exxon Mobile jetzt zusätzlich zu seinen Gas-Aufbereitungsanlagen in der Region eine Reststoffverwertungsanlage in der Samtgemeinde beantragt hat, missfällt den dort lebenden Einwohnern. Bürgermeister Dirk Eberle befürchtet, dass Zusagen erteilt werden, bevor die Krebsproblematik vollständig untersucht und Ursachen gefunden wurden. „Deshalb haben wir auch gegen die Genehmigung der Anlage geklagt“, erklärte er gegenüber Medical Tribune.

Landesregierung fehle Wille zu politischen Konsequenzen

„Eine Reststoffverwertungsanlage gehört nicht unabdingbar zur Erdgasproduktion und genießt unserer Ansicht nach auch nicht das Privileg des Bergbaus, im unbeplanten Außenbereich errichtet werden zu dürfen“, so Eberle. Der Anwalt sei deshalb der Auffassung, dass so eine Anlage in ein Industriegebiet gehöre. Das gemeinnützige Netzwerk für Umweltkranke GENUK kritisiert den 4-Jahres-Betrachtungszeitraum der Münchner Studie „angesichts einer noch in den 1940er-Jahren einsetzenden aktiven Erdöl- und Erdgasförderung in Niedersachsen“. Zudem wird der Landesregierung ein jahrelanges Verzögerungs- und Verwirrspiel vorgeworfen. Der Wille, politische Konsequenzen auch in Form von Einschränkung des Geschäftsmodells der Industrie zugunsten des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung zu ziehen, sei nicht erkennbar.

In Niedersachsen werden etwa 98 % des deutschen Erdgases gefördert. Nach Angaben des Geozentrums Hannover wurden seit 1961 mehr als 320 Fracking-Maßnahmen in mehrere hundert bis mehrere tausend Meter tiefen Erdgaslagerstätten durchgeführt. Die letzte Maßnahme fand 2011 statt.

Medical-Tribune-Bericht