Barrierefreiheit Hausarzt kämpft gegen Verkehrsmaßnahme der Stadt
Fünfzig Meter unebener Gehweg – das reicht, um die Praxis des Hausarztes Andreas Klein für manche Patienten fast unerreichbar zu machen. „Einige haben mir schon mitgeteilt, dass sie die Praxis wechseln müssen“, berichtet der Mediziner.
Vor der Praxis in Hildesheim gilt seit Kurzem kein eingeschränktes Halteverbot mehr, sondern ein absolutes. Die Stadt möchte verhindern, dass Radfahrer vom Radstreifen auf die Straßenmitte ausweichen müssen, um stehende Fahrzeuge zu umradeln. Insbesondere Patienten mit Behinderung waren jedoch darauf angewiesen, dass Angehörige oder Fahrdienste kurz vor der Praxistür halten, um sie aussteigen zu lassen. „Die Betroffenen haben es ohnehin schon schwer, barrierefreie Praxen zu finden. Und dann erschweren kommunale Verkehrsregelungen den Zugang noch“, ärgert sich Dr. Klein.
Er wies die Stadt wiederholt darauf hin, dass die Maßnahme für Menschen mit eingeschränkter Mobilität eine große Hürde bedeute. Schließlich besage auch das Merkzeichen „aG“ im Schwerbehindertenausweis, dass das Gehvermögen stark eingeschränkt und die Fortbewegung nur mit fremder Hilfe oder großer Anstrengung möglich sei. Er hat der Stadt Kompromisslösungen vorgeschlagen, durch die das Halten vor der Praxis wieder möglich wäre – der Radstreifen müsse lediglich 20 Meter weiter beginnen.
Doch die Stadt hält davon nichts. Sie legt die Erreichbarkeit der Praxis in bisherigen Schreiben als ein persönliches Interesse des Arztes aus. Der Schutz der Radfahrer überwiege, zudem könnten Besucher der Praxis den Parkstreifen auf der gegenüberliegenden Straßenseite nutzen.
Mal eben die Straße überqueren? Kürzlich sei ein 85-Jähriger mit schwerem Morbus Bechterew bei dem Versuch gestürzt und habe sich Prellungen an beiden Knien und der Stirn zugezogen, berichtet Klein. Mittlerweile hat die Stadt zwei Kurzzeitparkplätze 50 Meter die Straße hinauf eingerichtet. Doch auch dies helfe Patienten mit Behinderung nicht, erklärt der Hausarzt. Er denkt dabei etwa an eine erblindete 92-Jährige, die zur Praxis geleitet werden muss. Auch ein 51-Jähriger, der auf Gehstützen angewiesen ist und für den ein Sturz wegen einer medikamentös bedingten Osteoporose fatal wäre, kann die Strecke im Winter oder bei schlechtem Wetter nicht bewältigen.
Wie viele Patienten betroffen sind, ist nicht entscheidend
Der Mediziner schätzt, dass nur etwa 100 seiner Patienten betroffen sind. „Es geht aber nicht um die Zahl und auch nicht darum, dass ich Patienten verlieren könnte. Es geht mir darum, dass hier die Rechte von Menschen mit Behinderung mit Füßen getreten werden.“ Er kennt weitere Mediziner in Niedersachsen, deren einst barrierefreie Praxen durch kommunale Verkehrsmaßnahmen schwerer zu erreichen sind. Teilweise seien die Kollegen kurz zuvor extra in andere Räume gezogen, um für Personen mit Behinderung besser erreichbar zu sein. Neben Radstreifen seien auch Busspuren ein bekanntes Problem.
Um eine Lösung zu finden, ließ Klein nichts unversucht. Er schrieb der Stadt, der KV Niedersachsen, der Ärztekammer, den Behindertenbeauftragten auf Landes- und auf regionaler Ebene und sogar dem Bundesministerium für Gesundheit. Zusätzlich trug er sein Anliegen bei einer Einwohnerfragestunde vor dem Stadtentwicklungsausschuss vor und überreichte 600 Unterschriften von Unterstützern. Doch wirklich viel Gehör habe er bislang nicht gefunden, meint er. „Niemand fühlt sich zuständig.“
Der Hausarzt vermutet, dass bundesweit viele Niedergelassene mit den Folgen nicht barrierefreier Verkehrsmaßnahmen zu kämpfen haben. Er wünscht sich, dass sich mehr betroffene Kollegen melden, um sich über Erfahrungen und Lösungen austauschen zu können.
Medical-Tribune-Bericht