Barrierearme Praxis leicht gemacht – wie Sie richtig auf Patienten mit Behinderung eingehen
Eine Praxis, die alle Menschen ohne Hilfe besuchen können, wäre natürlich ideal. Doch wenn die Räume im dritten Stock liegen, ein Aufzug fehlt, der Altbau vielleicht sogar denkmalgeschützt ist – wie lässt sich das umsetzen? Die DIN-Vorgaben zur uneingeschränkten Barrierefreiheit sind in solchen Fällen wohl nicht zu realisieren.
Trotzdem kann jedes Praxisteam die Räume mit wenig Aufwand erheblich barriereärmer gestalten. Auch eine verständlichere Kommunikation ist schnell erreicht. Insgesamt profitieren davon alle Patienten, auch die, die nur vorübergehend einen Gips tragen, einen Kinderwagen schieben oder nicht gut Deutsch sprechen.
Mit anderer Perspektive durch die Räume gehen
Die KBV empfiehlt Niedergelassenen, außerhalb des Betriebs in Ruhe durch die Praxis zu gehen und systematisch zu notieren, wo es Barrieren gibt. Um einen unbefangenen Blick zu erreichen, kann ein Perspektivwechsel helfen: Wie würden Patienten, die schlecht gehen können, wenig sehen, schwerhörig sind oder Lernschwierigkeiten haben, die Räume erleben?
1. Eingeschränktes Sehvermögen
Für Patienten mit eingeschränktem Sehvermögen sollte die Praxis innerhalb des Gebäudes leicht zu finden sein. Es bietet sich daher an, Klingel- und Türschilder zu wählen, die sowohl mit tastbarer Profilschrift versehen sind als auch mit der auf Punkten basierenden Brailleschrift.
Innerhalb der Praxis erleichtert eine große, schnörkellose Beschriftung der Räume die Orientierung. Dabei kann ruhig die gesamte Fläche der Türen genutzt werden. Eine großzügige Markierung darf auch auf Glasflächen und Treppenstufen nicht fehlen. An Treppenanfang und -ende können zudem auffällige Schilder die Stolpergefahr verringern.
Homepage und Flyer neu gestalten
2. Eingeschränktes Gehvermögen
Stolperfallen auf dem Boden verbieten sich ohnehin in jeder Arztpraxis. Lassen Kabel sich aber absolut nicht vermeiden, ist ein Stolperschutz sinnvoll. Teppiche, die verrutschen könnten, sollten entfernt oder angeklebt werden. An Stellen, an denen Patienten manchmal warten müssen, ermöglichen Stühle mit Armlehnen ein kurzes Ausruhen. Menschen, die nur mühsam gehen können, haben es zudem leichter, wenn sie sich an Handläufen abstützen können. In den Sprechzimmern entlasten höhenverstellbare Behandlungsmöbel alle Patienten, die weniger mobil sind. Ist diese Funktion nicht gegeben, kann ein kleiner Tritthocker das Heraufsteigen zumindest etwas erleichtern. Soll die Praxis mit jeder Art von Rollstuhl passierbar sein, muss sie den DIN für uneingeschränkte Barrierefreiheit entsprechen. Unter anderem verlangt dies Türen, die mindestens 90 cm breit sind und Wendeflächen von 1,5 m x 1,5 m. Im Sanitärbereich müssen zudem Alarmknöpfe installiert und die Tür nach außen zu öffnen sein, falls Patienten dort ohnmächtig zusammenbrechen. Das Waschbecken sollte mit einem Rollstuhl unterfahrbar, Tuch- und Seifenspender mit einer Hand zu bedienen und von der Höhe her gut erreichbar sein.Kosten und Förderung
3. Eingeschränktes Hörvermögen
Um sich leichter mit schwerhörigen Menschen zu verständigen, können Ärzte einen Hörverstärker oder eine induktive Höranlage verwenden. Ersterer besteht aus einem Kopfhörer für den Patienten und einem Verstärker mit angeschlossenem Mikro, in das der Arzt hineinspricht. Induktive Höranlagen existieren als mobiles Gerät oder zur festen Installation. Sie wandeln Audiosignale in elektrische Signale um, die wiederum von Hörgeräten mit entsprechender Spule empfangen werden können. Diese Art der Übertragung mindert Störgeräusche. Die KBV empfiehlt, Räume, die mit einem solchen Gerät ausgestattet sind, mit dem dafür gängigen Hinweisschild zu kennzeichnen. Um akustische Schwierigkeiten schon im Voraus zu minimieren, sollte ein relativ leises Sprechzimmer gewählt werden. Bei einer Renovierung können an Wänden und Decken der Praxis schallabsorbierende Elemente angebracht werden. Da schwerhörige und ertaubte Personen die Lippen des Gesprächspartners lesen, ist es entscheidend, dass der Arzt den Kopf nicht abwendet und deutlich spricht. Seine Sätze sollten kurz sein und keine Fremdwörter enthalten. Grundsätzlich haben Menschen mit Hörbehinderung das Recht, bei Arztbesuchen die Deutsche Gebärdensprache zu verwenden. Auf Wunsch des Patienten muss der Mediziner daher einen Gebärdensprachdolmetscher hinzuziehen. Die Kosten hierfür übernehmen in der Regel die Krankenkassen, dies sollte jedoch zuvor geklärt werden. Für Notfälle sollte eine Liste von Dolmetschern bereitliegen. Zu finden sind diese beispielsweise über Dolmetschervermittlungszentralen, eine Übersicht dieser Stellen nach Bundesland bietet der Deutsche Gehörlosen-Bund.4. Praxisablauf
Für Patienten mit Behinderung muss bei der Terminvergabe ausreichend Zeit eingeplant werden. Es kommt ihnen oft entgegen, wenn Termine auch schriftlich vereinbart werden können, etwa per Mail. Betreten sie dann die Praxis, sollte eine MFA unaufdringlich fragen, ob Hilfe erwünscht ist. Für Menschen mit Sehbehinderung kann es hilfreich sein, wenn sie nicht nur stumm durch die Praxis geführt, sondern die Wege erklärt werden. So fällt die selbstständige Orientierung beim nächsten Besuch leichter.Ohne Barrieren mit Patienten kommunizieren
Spricht der Arzt einen Patienten mit verringertem Sehvermögen an, sollte er ihm zunächst seinen Namen nennen, selbst wenn er ein Namensschild trägt. Verlässt er den Raum, ist dies anzukündigen, damit der Patient nicht ins Leere spricht. Falls der Betroffene einverstanden ist, können einzelne Behandlungsschritte erklärt werden, indem er die Hände des Patienten auf die entsprechende Körperstelle legt. Rezepte oder Formulare sollten vorgelesen werden. Falls ein Patient eine geistige Behinderung oder Lernschwierigkeiten hat, sollten Formulare vom Team besonders leicht verständlich erklärt und nach Wunsch gemeinsam ausgefüllt werden.Medical-Tribune-Bericht