Organspenderegister  Ein Hürdenlauf im Schneckentempo

Interview Autor: Elke Klug

Das Organspenderegister ging in diesem Jahr an den Start. Das Organspenderegister ging in diesem Jahr an den Start. © blende11.photo – stock.adobe.com

Am 18. März 2024 ging in Deutschland ein ORGANSPENDEREGISTER1 an den Start. Es ist ein eher kleiner Schritt auf dem steinigen Weg zu mehr Transplantationen und Verkürzung der Warteliste. Wirksamer wäre eine Gesetzesänderung. Frau Prof. Suwelack, Mitglied des Vorstands der Deutschen Transplantationsgesellschaft, schildert im Interview ihre Sicht auf die aktuelle Situation.

Derzeit stehen in Deutschland mehr als 8.500 Menschen auf der Warteliste für ein Spenderorgan. Laut DSO-Statistik gab es 2023 bundesweit 965 Organspender:innen und Organspender, die nach ihrem Tod ein oder mehrere Organe gespendet haben. Das entspricht 11,4 Organspenderinnen und -spender pro Million Einwohner. Von insgesamt 2.821 gemeldeten potenziellen postmortal spendefähigen Organen im Zeitraum Januar bis Oktober 2023 konnte ein Drittel realisiert werden. Rund die Hälfte der nicht erfolgten Spenden scheiterte an einer fehlenden Zustimmung. Eine schriftliche Willensbekundung lag nur bei 15 % der möglichen Organspenden vor. In Europa führt Spanien regelmäßig die Statistiken zur Organspende an. 2021 kamen dort auf eine Million Einwohner 46,0 Organspenderinnen und -spender, die Organe nach dem Hirntod spendeten. 

In Deutschland dagegen befindet sich die Organspende nach wie vor im Dauertief. Die meisten Patient:innen auf der Warteliste warten auf eine Spenderniere, z.T. acht Jahre und länger. 10.454 Patient:innen (aktive Warteliste 6.513, nicht aktive Warteliste 3.941) warteten Ende 2023 auf eine Nierentransplantation. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 2.122 Nierentransplantationen durchgeführt, 1.514 Nieren wurden nach postmortaler Organspende übertragen, 608 Nieren nach einer Lebendspende. 

Demgegenüber gab es mehr als 2.000 Neuanmeldungen auf die Warteliste. Um den „Pool“ der zur Verfügung stehenden Organe zu vergrößern, werden verschiedene Ansätze diskutiert. Nach Ansicht der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) ist die Widerspruchslösung eine effektive und nachhaltige Lösung, um dem Organmangel entgegen zu wirken. Eine andere Möglichkeit den Spenderpool zu erweitern ist die Akzeptanz von Spendern mit Herz-/Kreislauf- Versagen (DCD). „Das Transplantationsgesetz ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Frau Prof. Suwelack, Mitglied des Vorstands der Deutschen Transplantationsgesellschaft, und schildert im Interview ihre Sicht auf die aktuelle Situation und ihre Erfahrungen als Leiterin des deutschen Lebendspende Registers sowie aus ihrer langjährigen Tätigkeit als ehemalige leitende Oberärztin der Transplantationsnephrologie am UK Münster.


Eine Organtransplantation gilt als deutlich bessere Nierenersatztherapie im Vergleich zur Dialyse bei einer chronischen Nierenerkrankung (CKD)/Nierenversagen. Warum ist diese Tatsache im Bewusstsein der Bevölkerung in Deutschland so wenig präsent und die Spenderzahlen entsprechend niedrig?

Prof. Dr. Barbara Suwelack: Eine Organtransplantation ist in der Tat nicht nur ein Gewinn an Lebensqualität, sondern vor allem auch mit einer deutlich höheren Lebenserwartung verbunden. Und das in allen Altersklassen. Aber ich glaube, solange man nicht selbst oder ein naher Angehöriger betroffen ist, kümmert man sich nicht so sehr um das Thema Tod im Allgemeinen und Organspende nach dem Tod im Besonderen. Das ist das eine. Andererseits wird oft gedacht, ein bisschen anders als beim Herz, dass man das „Nierenproblem“ jederzeit über die Dialyse lösen kann. 

Man kennt da vielleicht noch Dialysepatienten, die relativ fit erscheinen und sogar noch Sport treiben. Gelegentlich berichten auch Publikumsmedien, dass die Dialyse heutzutage viel besser geworden und die Transplantation bzgl. der Lebenserwartung aufgrund der besseren Dialyseverfahren gar nicht mehr so viel besser sei. Demgegenüber gibt es ganz klar aktuelle Daten, die zeigen, dass eine Transplantation auch heute mit einer deutlichen Lebensverlängerung, mit weniger Morbidität und weniger Begleiterkrankungen einhergeht als die Dialyse. Ich denke, darüber müsste mehr und besser aufgeklärt werden. 

Wo oder bei wem liegt Ihrer Meinung nach das stärkste Potenzial, das Bewusstsein für die Organspende zu erhöhen? 

Suwelack: Aktuell gilt bei uns die „Entscheidungslösung“. Um die Entscheidung für eine Organspende zu treffen, wurden z. B. von den Krankenkassen Organspendeausweise herum geschickt. Von den meisten wurden die erst einmal beiseitegelegt. Außerdem sollten Arztpraxen und andere (Patienten)- Kontaktstellen aufklären. Ich glaube, dass es viele wahrscheinlich erst einmal zeitlich und inhaltlich überfordert, so aufzuklären, dass es auch wirklich bei der Entscheidung zur Organspende hilft. 

In der heutigen Taktung der Arbeit im ambulanten niedergelassenen Bereich ist dafür oftmals nicht genügend Zeit. Für eine umfassende Beratung ist transplantationsmedizinisches Wissen nötig. Inzwischen gibt es ja deshalb auch die Zusatzbezeichnung Transplantationsmediziner. Das Thema müsste häufiger und differenzierter in den Medien behandelt werden. Und ich könnte mir auch vorstellen, wenn wir eine andere gesetzliche Regelung, sprich die Widerspruchslösung hätten, würde sich die Bevölkerung mehr mit dem Thema Organspende beschäftigen und vielleicht auch in der Familie einmal mehr darüber sprechen. 

Die grundsätzliche Bereitschaft ist in der Bevölkerung da, das zeigen die DSO-Ergebnisse deutlich, es wird nur nicht dokumentiert. Und wenn es „hart auf hart“ kommt, ist es dann leider häufig so, dass die Angehörigen oft verunsichert sind und nicht genau wissen, was der Wille des Verstorbenen war. Da könnten ein Eintrag in ein Register und die Widerspruchslösung extrem helfen. Deshalb geht es vor allem um die Aufklärung im Vorfeld, ehe es zu einer konkreten Situation kommt, in der es einer Entscheidung bedarf. Die Frage ist also, wie bekommen wir es hin, dass mehr Menschen einen Organspendeausweis wirklich ausfüllen und bei sich tragen bzw. sich jetzt registrieren lassen. Warum ist das Thema z. B. noch immer nicht als Lehrstoff in den Schulen angekommen? Es gibt z. B. den Religions- und den Ethikunterricht, in die das unbedingt hinein gehört. Wenn über den Tod gesprochen wird, sollte auch über Organspende und Patientenverfügung gesprochen werden.

BUNDESGESUNDHEITSMINISTER PROF. KARL LAUTERBACH:

„Mit dem Organspende-Register steht in Deutschland erstmals die Möglichkeit, zur Verfügung, online Erklärungen zur Organ- und Gewebespendebereitschaft zu dokumentieren. Das erleichtert es Ärztinnen und Ärzten, die Spendebereitschaft eines potenziellen Organspenders schnell und verlässlich zu klären. Vor allem aber entlastet es Angehörige im Ernstfall von einer schweren Entscheidung. Denn eine im Organspende-Register dokumentierte Entscheidung sorgt für Klarheit und Sicherheit. Daher mein Appell: Entscheiden Sie sich und dokumentieren Sie Ihre Entscheidung zur Organspende!“

Wieso funktioniert es mit der Organspende in anderen europäischen Ländern so viel besser?

Suwelack: Ganz klar, es funktioniert dort besser, wo die Gesetzeslage anders ist, siehe Spanien. Zuletzt haben auch die Niederlande die Widerspruchslösung eingeführt. Und ich meine, neben anderen, möglicherweise organisatorischen Dingen sowie fehlenden zentralisierteren Strukturen und Einbindung der Niedergelassenen, blockiert sich in Deutschland die Politik auch manchmal selbst, weil eine ungeheure Angst herrscht, womöglich etwas Unpopuläres zu vertreten. Auf der Seite des Bundesministeriums für Gesundheit wurde am 19.2.24 informiert, dass nun wenigstens das Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende am 18. März 2024 unter www.organspende-register.de seinen Betrieb schrittweise aufnimmt. Im ersten Schritt ist es möglich, eine Erklärung zur Organ- und Gewebespende im Register mithilfe eines Ausweisdokuments mit eID-Funktion (z. B. Personalausweis) zu hinterlegen.“

2022 wurde das Register schon einmal angekündigt. Und jetzt kommt es „schrittweise“. Was halten Sie davon? Und warum war das ein so langwieriger Prozess; welche Hürden mussten noch genommen werden?

Suwelack: Grundsätzlich ist es für die Kliniken eine gute Sache, wenn man Zugriff hat und schauen kann, ob sich ein potenzieller Spender bei Lebzeiten dort eingetragen hat. Es ist freiwillig, man kann jederzeit zu Lebzeiten seine Meinung ändern. Aber wir müssen unverändert weiter aufklären und mehr Bewusstsein schaffen. 

Die Hürden, die genommen werden mussten, sind in der Regel solche, die in der Politik allgemein genommen werden müssen. Da gibt es parteipolitisch parteiübergreifend und teilweise auch innerparteilich kontroverse Meinungen, wie wir es jetzt z. B. auch sehen in einem Antrag einer Partei zur Cross-over-Spende. Der wurde nicht weitergeleitet, weil es innerhalb der Partei Stimmen gab, die sich dagegen ausgesprochen haben. In den großen Volksparteien sind viele verschiedene Strömungen der Bevölkerung erkennbar und es ist schwierig, einen Konsens zu finden. 

Aber wie gesagt, die Bereitschaft der Bevölkerung zur Organspende ist da. Neben der großen Bereitschaft gibt es jedoch, so unsere Erfahrung, wenn wir z. B. mit Schülern und Studierenden über das Thema diskutiert haben, auch ein gewisses Unverständnis, warum die Organspende in Deutschland nicht besser geregelt ist.

Nach Ansicht der DGfN ist die Widerspruchslösung eine effektive und nachhaltige Lösung, den Organmangel zu beheben, weil die sog. Zustimmungslösung ja offenbar nicht funktioniert. Warum tut sich Deutschland so schwer mit der Widerspruchslösung?

Suwelack: Es existieren bei Entscheidern hier in Deutschland große Bedenken, dass man potenziellen Spendern ungefragt die Nieren entnimmt, nur weil sie/er einmal nicht widersprochen hat. Problematisch ist die Aussage, eine Umstellung auf die Widerspruchslösung bedeute, dass alle Menschen in Deutschland automatisch Organspender sind, so lange sie nicht aktiv zu Lebzeiten widersprechen. Wenn ich solche Formulierungen höre oder lese, denke ich, es ist genau das, was die Ängste in der Bevölkerung schürt. Aber eine ungefragte Entnahme ist niemals Realität! Es wird in der konkreten Situation, bei möglicher postmortaler Organspende immer noch einmal genau nachgefragt, hat der Verstorbene einen Spenderausweis oder hat er seine Meinung geändert oder kann man davon ausgehen, dass das, was niedergelegt ist, auch tatsächlich weiterhin der Fall ist usw. Der Wille des Verstorbenen wird noch einmal sehr sorgfältig geprüft. Das muss in der Aufklärung besser kommuniziert werden.

Welche Möglichkeiten sehen Sie aus medizinisch/klinischer Perspektive, mehr Nieren als Spenderorgane in den Pool einzuspeisen?

Suwelack: Ich denke, neben der Einführung der Widerspruchslösung müssten wir die Möglichkeiten der Lebendspenden und der Akzeptanz des Herztodes als Todeskriterium (DCD) besser nutzen. Und es ist nicht zu verstehen, warum der Staat Menschen, die sich gegenseitig helfen wollen, mit der jetzigen Gesetzgebung daran hindert. Der Pool der postmortalen Organspenden könnte entlastet werden und Patienten, die keinen Lebendspender haben, könnten u. U. auch altruistisch gespendete Organe bekommen. Damit würde Anzahl der Patienten auf der Warteliste reduziert. Ein Vorteil für alle. Auch bei den Lebendspenden sind uns die anderen Europäer voraus, wiederum durch eine andere Gesetzgebung. 

Sowohl bei der Cross-over-Spende als auch bei noch weitreichenderen Regelungen. Die Schweiz hat zuletzt, wie schon andere europäische Länder auch, die altruistische, also die nicht gerichtete Lebendspende ermöglicht, d. h. jemand möchte für todkranke Menschen etwas Gutes tun. Cross-over im eigentlichen Sinne ist ja eine direkt gerichtete Spende zwischen zwei Paaren, die überkreuz spenden. Aber man kann sich ja auch vorstellen, dass ein Austausch mit mehr als zwei Paaren gelingt. Das ist auch sinnvoll, weil ja heute eine Lebendspende sehr oft nicht realisiert wird, weil Spender und Empfänger immunologisch nicht passen, weil Antikörper vorhanden sind, die zu einer Abstoßung führen würden. 

Eine weitere Möglichkeit wäre die Organspende nach dem Tod durch Herz-/Kreislauf-Versagen (donation after cardiac death, DCD). Postmortale DCD-Spenden werden in vielen eu-ropäischen Ländern schon erfolgreich durchgeführt. Bei uns ist es nicht erlaubt, in Deutschland ist ausschließlich das Hirntod-Konzept akzeptiert. Hier eine Änderung herbeizuführen ist etwas, was wir in die Politik hinein tragen und diskutieren wollen. Außerdem gibt es neue Überlegungen, eine bessere Zuteilung zu organisieren, damit die Organe länger funktionieren. Dabei geht es um die Verteilungskriterien – ob wir noch andere oder weitere immunologische Kriterien heranziehen können. 

Da ist das ETKAC (Eurotransplant Kidney Allocation Committee) mit dabei, um zu evaluieren, ob es neue Matching- Methoden gibt, z. B. HLA-DP-matching, und ob das dazu führt, dass man Spender und Empfänger passender zusammen bekommt, die Nieren dann besser passen und damit länger funktionieren. Last but not least ist auch die Nachsorge nach einer Transplantation und Lebendspende extrem wichtig. Es wird angestrebt, Genehmigungen für die Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung (ASV) für die Nachsorgeambulanzen in den Kliniken zu bekommen. Denn es ist sehr wichtig, dass die qualifizierte Nachsorge vom Transplantationsmediziner gemacht werden kann. 

Außerdem muss Nachsorge unbedingt vernünftig finanziert werden. Und wir brauchen natürlich Register, um die Nachsorgedaten zu ermitteln und wissenschaftlich auszuwerten. Seit 2019 gibt es das vom BMBF geförderte Deutsche Lebendspende Register, das sich der Sicherheit der Lebendspendenden verschrieben hat. Die Förderung läuft jetzt leider aus. Wir wollen aber unbedingt, dass auch bei einer Gesetzes-änderung für die Lebendspende dafür gesorgt ist, dass der Schutz der Spender gewährleistet ist. Es braucht in Deutschland ein begleitendes Lebendspende-Register, mit dessen Daten und Ergebnissen die Einschätzung der medizinischen und psychosomatischen Spenderrisiken und die Ergebnisse im Langzeitverlauf erfasst werden, um Antworten zu finden auf Fragen wie „Unter welchen Bedingungen kann jemand risikolos eine Niere spenden? Wie geht es dem Spender hinterher? Wie hoch ist das Risiko, das der Spender eingeht?“ 

Das Transplantations-Register, welches wir im Moment haben, in dem die Daten von Einrichtungen wie dem IQTIG (Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen), DSO und Eurotransplant gesammelt werden, generiert im Moment keine qualitativ hochwertigen Daten. Und es liefert auch nicht das, was wir brauchen, was für den Lebendspender wirklich interessant ist. Er will ja wissen, wie lange lebe ich, wie ist mein Risiko selbst an der Dialyse zu landen oder bin ich in meiner Berufstätigkeit eingeschränkt – mehr als 70 % der Lebendspender sind berufstätig – das hat auch eine soziale Relevanz.

Mit welchem Gefühl blicken Sie bezüglich der Organspende in die Zukunft?

Suwelack: Insgesamt bin ich optimistisch. Ich glaube, wir sind gerade mit den anstehenden Gesetzes-Reformen auf einem hoffentlich guten Wege. Mit unserem Lebendspende Register sind wir sehr gut aufgestellt und haben eine große Akzeptanz bei allen TX-Zentren in Deutschland. Alle machen mit, sehen die Notwendigkeit und möchten natürlich auch gern die Daten nutzen. Das ist auch im Sinne der Qualitätssicherung für jedes Zentrum wichtig. Sorge macht mir die Finanzierung ab dem nächsten Jahr.

Frau Prof. Suwelack, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Quelle: Nierenarzt 02/2024

1 Register für Erklärungen zur Organ- und Gewebespende