"Ist ein Arzt an Bord?"

Autor: Dorothea Ranft, Foto: thinkstock

Notfälle passieren hauptsächlich auf Langstreckenflügen. Nichthelfen ist strafbar, Ersthelfer dagegen sind rechtlich abgesichert. Womit Sie rechnen können und worauf Sie achten müssen.

Auf Ihrem Flug in den Urlaub wird plötzlich ein Arzt gesucht. Sie möchten gerne helfen, haben aber Angst vor juristischen Folgen. Ein erfahrener Hausarzt erläutert, wie sich Notfälle an Bord sicher meistern lassen.

Die Furcht vor Klagen wegen unzureichender Erste-Hilfe-Leistung ist bei Notfällen über den Wolken in der Regel unbegründet, schreibt Dr. Stefan Claus, Fachbereich für Allgemeinmedizin, Universität Mainz. So haftet der Arzt in einem in Deutschland registrierten Flugzeug nur für grobe Fahrlässigkeit. Denn seine Behandlung gilt – nicht nur bei bewusstlosen Patienten – als Geschäftsführung ohne Auftrag (mit entsprechendem Haftungsprivileg).

Was besagt Ihre Versicherungspolice? Auch in den besonders prozessfreudigen USA werden Ersthelfer inzwischen durch den „Aviation Medical Assistance Act“ vor zivil- und strafrechtlicher Verfolgung geschützt – sofern sie freiwillig und uneigennützig handeln.

Erst-Helfer in der Luft rechtlich geschützt

Kleinere Geschenke, etwa ein Sitz-Upgrade, zählen allerdings noch nicht als Lohn. Außerdem haben einige Fluggesellschaften (z.B. Lufthansa, Air Berlin) Haftpflichtversicherungen abgeschlossen, die Ärzte – Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit ausgenommen – schützen. Bei anderen Fluglinien können Sie sich vom Flugkapitän eine sog. Enthaftungserklärung unterschreiben lassen.

Am besten checken Sie noch vor der Reise, ob ihre Berufshaftpflicht auch eine gelegentliche Notfalltätigkeit auf Reisen abdeckt. Sich nicht zu melden, kann dagegen juristischen Ärger provozieren: Denn in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern sowie in Australien ist unterlassene Hilfeleistung strafbar, während Großbritannien, die USA und Kanada keine Ersthilfepflicht kennen.

Außerdem haben Sie bei Notfällen an Bord Unterstützung: So werden die Flugbegleiter z.B. bei Lufthansa regelmäßig in Erster Hilfe inkl. Reanimation geschult und Sie können via Satellitentelefon einen medizinischen Beratungsdienst konsultieren. An Bord steht neben Notfallkoffer (doctor‘s kit), Sauerstoffflaschen und Infusionslösungen oft auch ein automatischer Defibrillator zur Verfügung.

Unterstützung durch Personal und Notfallkoffer

Womit müssen Sie rechnen? Rund 70 % der Notfälle ereignen sich laut einer Erhebung der Lufthansa während Interkontinentalflügen. Am häufigsten waren mit 44 % Synkopen, gefolgt von Dyspnoe (8 %), kardialen Problemen und Erbrechen (je 7 %). Seltener sind andere gastrointestinale Symptome, Krampfanfälle, zerebrale Insulte und Diabeteskomplikationen. Bei Frischoperierten drohen durch die Ausdehnung körpereigener Gase evtl. Nahtdehiszenzen.

Wenn Sie zu einem Notfall gerufen werden, sollten Sie sich zunächst dem Patienten, aber auch den Flugbegleitern mit Ihrem Namen und Ihrer medizinischen Qualifikation vorstellen. Bitten Sie den Patienten vor jeder Untersuchung bzw. vor therapeutischen Maßnahmen um sein Einverständnis, und das am besten vor Zeugen. Bei Sprachproblemen hilft evtl. ein mitreisender Passagier als „Dolmetscher“.

Die erhobenen Befunde sollten Sie schriftlich dokumentieren, rät Dr. Claus. Ziel der Therapie ist es, den Patienten bis zur Landung zu stabilisieren. Dabei sollten Sie sich auf Maßnahmen beschränken, derer Sie sich sicher sind. Wenn Sie eine Notlandung für erforderlich halten, sprechen Sie dies stets offen an und erörtern sie die Lage mit dem Beratungsdienst.

Notlandung: Verantwortung trägt der Pilot

Die Entscheidung trifft der Pilot in eigener Verantwortung. Die (Folge-) Kosten der außerplanmäßigen Landung übernimmt die Fluggesellschaft, für den Arzt entsteht kein Haftungsrisiko.

Wie lange müssen Sie reanimieren? Nach den Guidelines der International Air Transport Association mindestens 30 Minuten, sofern die Herztätigkeit nicht eher einsetzt. Als Grund für einen zeitigeren Abbruch werden neben gefährlichen Turbulenzen auch die Erschöpfung der Helfer anerkannt. In einem solchen Fall müssen Sie den Flugkapitän und den Beratungsdienst informieren – ohne eine offizielle Todesfeststellung auszusprechen. Der Leichnam wird mit einem Tuch abgedeckt und zum Beispiel in einem nicht als Fluchtweg dienenden Abteil platziert.

Quelle: Stefan Claus, Z Allg Med 2014; 90: 298-302