Kapselfibrose wegen Implantat – wer zahlt für die Entnahme?
Ein HNO-Arzt aus Wolfsburg fragt:
Einer Patientin wurden im Dezember 2017 in einer Privatklinik zwei Brustimplantate (470 ml MF) eingesetzt. Ein halbes Jahr später stellten sich Druckbeschwerden in der linken Brust ein. Der Operateur vertröstete sie. Erst im Februar 2019 erfuhr die Patientin, dass bei ihr eine Kapselfibrose vorliegt und ihre Implantate bereits November 2018 vom Hersteller wegen des Verdachts, eine krebsartige Erkrankung (BIA-ALCL) auszulösen, vom Markt zurückgerufen worden waren und somit eine sofortige Entnahme medizinisch erforderlich war. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass die Implantate nicht – wie im Behandlungsvertrag festgelegt – submuskulär, sondern oberhalb des Brustmuskels implantiert worden sind.
- Wer ist zur Kostenübernahme für die erforderliche OP verpflichtet: der Hersteller wegen des Rückrufs oder der Erstoperateur wegen Nichtbeachtung des Behandlungsvertrags?
- Haftet der Erstoperateur wegen Verletzung des Behandlungsvertrags?
- Inwieweit ist die gesetzliche Krankenversicherung der Patientin zur Kostenübernahme verpflichtet?
- Was sind weitere rechtliche Möglichkeiten der Patientin?
Professor Dr. Dr. Alexander P. F. Ehlers, Fachanwalt für Medizinrecht und Facharzt für Allgemeinmedizin, München:
Die Frage, wer die Kosten einer Explantation zu tragen hat, hängt davon ab, ob die Erstoperation medizinisch indiziert war oder nur kosmetischen Zwecken diente. Wurde das Einsetzen der Implantate aus ästhetischen Gründen vorgenommen, hat sich die gesetzliche Krankenkasse nach § 52 Abs. 2 SGB V in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen. Wie hoch die Beteiligung ausfällt, ist einzelfallabhängig und wird u.a. anhand des Einkommens des Patienten und der individuellen Situation berechnet. War die Erstoperation dagegen medizinisch indiziert, hat die Krankenkasse auch die Kosten der zweiten Operation zu tragen.
Ein Kostenerstattungsanspruch wegen des Rückrufs gegen den Operateur oder die Privatklinik dürfte nicht bestehen. Für eine Haftung hätte der behandelnde Arzt bzw. die Privatklinik zum Zeitpunkt der Behandlung von den Risiken Kenntnis haben müssen und trotz dieser Kenntnis eine entsprechende Aufklärung unterlassen haben. Da die Implantate aber erst fast ein Jahr nach der Operation zurückgerufen wurden, dürfte das zu verneinen sein.
Es kommen jedoch Ansprüche gegen den Hersteller in Betracht. Ein Schadenersatzanspruch gegen den Hersteller des Implantats kann sich im Rahmen der Gefährdungshaftung aus § 1 ProdHaftG oder als verschuldensabhängige Haftung aus § 823 BGB ergeben. Beide Ansprüche können nebeneinander geltend gemacht werden.
Gefährdungshaftung bedeutet, dass unabhängig davon, ob der Hersteller den Fehler verschuldet hat, dieser in der Haftung steht und für eine Entschädigung aufkommen muss. Nach § 3 ProdHaftG ist ein Produkt fehlerhaft, „wenn es nicht die Sicherheit bietet, die […] berechtigterweise erwartet werden kann“. Nach § 1 Abs. 4 des gleichen Gesetzes muss jedoch der Patient den Beweis erbringen, dass das Produkt fehlerhaft war und dass es ursächlich für den gesundheitlichen Schaden ist. Die Patientin müsste also einmal nachweisen können, dass das Produkt die geforderten Sicherheitsstandards nicht einhielt. Das dürfte durch den weltweiten Rückruf belegbar sein. Und darüber hinaus muss sie darlegen, dass sich daraus das krebsartige Lymphom entwickelt hat.
Im Rahmen der Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB muss zusätzlich bewiesen werden, dass der Hersteller seine Pflicht schuldhaft verletzt hat. Die Rechtsprechung nimmt unter bestimmten Voraussetzungen eine Beweiserleichterung bis hin zur Beweislastumkehr zugunsten der Patienten an. Weist dieser nach, dass die Verletzung auf einem Produktfehler beruht, folgt hieraus eine Umkehr der Beweislast, und zwar im Hinblick auf die objektive Pflichtwidrigkeit wie auch auf das Verschulden des Herstellers.
Hiervon ist das Vorgehen des Operateurs rechtlich abzugrenzen. Indem der behandelnde Arzt entgegen den Voraussetzungen der §§ 630d, 630e BGB ohne vorhergehende Aufklärung und wirksame Einwilligung eine nicht im Behandlungsvertrag vereinbarte Methode verwendete, hat er u.a. seine vertraglichen Pflichten nach § 280 Abs. 1 BGB verletzt. Dies gilt unabhängig davon, ob die Behandlung als solche fehlerfrei erfolgte. Das kann arzthaftungsrechtliche Konsequenzen für den Operateur und/oder die Klinik nach sich ziehen.
Darüber hinaus kann die Patientin rechtlich gegen den Hersteller wegen der fehlerhaften Implantate oder gegen den behandelnden Arzt/Klinikum aufgrund der durchgeführten Behandlung vorgehen, um Schadenersatz und Schmerzensgeld geltend zu machen. Dabei sollte auch die Feststellung der Haftung für zukünftige körperliche Schäden beantragt werden.
In der Vergangenheit wurden auch bereits Klagen gegen den TÜV angestrengt, und zwar mit der Argumentation, dass dieser das Produkt gar nicht erst hätte auf den Markt bringen dürfen. Die Erfolgsaussichten dieser Klagen sind jedoch bislang gering.
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