Kassenarzt – was war das gleich noch mal?
Dieser Tage ging mir der Begriff „Kassenarzt" nicht aus dem Kopf. Ein Wort, eigentlich so angestaubt wie der Champions-League-Pokal des FC Bayern. Aber dieses Doppelwort interessierte mich aus einem ganz speziellen Grund: Ich habe Anfang des Jahres meine Kassenzulassung zurückgegeben. Aus Altersgründen.
Wie ich mich dabei so fühle? Na ja. Das Ankreuzen von DMP-Formularen, Anfragen der Kassen, ob der Patient leicht, mittel oder schwerbehindert sei – all diese intellektuelle Brillianz wird mir kaum fehlen. Eher schon das Abenteuer Quartalsabrechnung. Wenn Mathildes Augen voller Glück strahlten, weil es wider Erwarten geklappt hatte. Der Rest über die dreißig Jahre „Kassenarzttätigkeit" (Bitte, ich kann für das Wort nichts!) sei Schweigen. Schließlich braucht unser Gesundheitssystem motivierte Ärzte. Damit es gut geschmiert läuft.
„Geistige Brillianz von Formularen wird mir kaum fehlen"
Also zurück zum Doppelwort: Arzt und Kasse. Ersteres ist klar, das Zweite erklärt sich daraus, dass wir mit gesetzlichen Krankenkassen zusammenarbeiten. Aus Sicht der GKK war dieser symbiotische Zustand ideal in den Jahren, als wir für sie die Praxisgebühr eintreiben mussten. Wir waren in dieser Zeit ihre Kassierer mit dem Bauchladen, welche die Kohle schön brav an den Chef ablieferten. Gerade als wir uns auch daran gewöhnt hatten, wurden unsere Inkassobüros aber per Gesetz wieder zu Arztpraxen umgemodelt. Zurück auf Anfang also.
Das mit der Kasse ließ sich aber aus vielen Köpfen nicht mehr vertreiben. Dazu kommt ja, dass die neuen Gesundheitskassen vieles nicht mehr bezahlen, was die alten Krankenkassen noch übernommen hatten und Patienten so sehr wünschen für ihre Unsterblichkeit. So entstand im Gesundheitswesen ein neuer Begriff: IGeL-Leistungen. Hört sich so smart an wie Kassenarzt. Mit diesen individuellen Gesundheitsleistungen kann man mit etwas dehnbarem Gewissen jetzt privat Kohle machen. Das ergibt marktwirtschaftlich Sinn, entspricht aber nicht mehr dem ursprünglichen Begriff des Kassenarztes, der früher wesentlich mehr Leistungen direkt über die Krankenkasse des Patienten abrechnen konnte.
Genug von den Kassen? Ich auch! Da sollte man wohl manches ändern. Aber Umschalten auf Konfliktstrategien fällt uns Ärzten nun mal schwer. Als sich einst in Bayern ein wehrhafter Teil für die Rückgabe der Kassenzulassung entschieden hatte, zeigte sich wie schwer Fortschritt ist. Seither entwickelt er sich – wenn überhaupt – verklausuliert in Fußnoten, zäh und bürokratisch. Politik in Schrittchen, sie wissen, wen ich meine – dafür ist die Mehrheit der Kassenärzte offensichtlich eher zu haben. Bloß nicht auf der Straße Krach machen. Höchstens ein bisschen schüchtern aus dem Fenster winken, als Zeichen des Protests, dabei aber die Praxistür geöffnet halten.
„Das Inkassobüro wurde wieder zur Arztpraxis"
In den letzten Jahren dümpelte berufspolitisch alles nur noch so vor sich hin. Die üblichen Skandälchen in den Beletagen, die gewohnten Alltagsprobleme bei uns im Erdgeschoss. Irgendwann, in nicht so ferner Zukunft, werden ohnehin alle Praxen in Zentren eingegliedert, von Firmen zum Vertrieb ihrer Produkte aufgekauft oder mangels Nachfolger schlicht geschlossen sein. Und keiner will’s gemerkt haben. Dann kann man ja immer noch in Wikipedia nachschlagen: Kassenarzt – was war das gleich noch mal? Mit meinem geliebten Computer werde ich dieser Tage auch noch ein Wörtchen reden: „Mein Freund, benimm dich", werde ich in aller Güte sagen. „Verlang nie wieder nach so einem verfl... Update! Oder ich hole meine alte Olivetti heraus. Die genügt mir nämlich jetzt wieder."
Schließlich bin ich kein Kassenarzt mehr. Zurück auf Anfang also? Ich nenne es Fortschritt. Nicht nur, weil ich wieder auf Porzellantasten schreiben darf und nicht länger auf Plastikklötzen rumfummeln muss. Genialität hat schließlich auch etwas mit Einfachheit zu tun. Ganz sicher jedenfalls nicht mit Fußnoten in Quartalsabrechnungen ...