Gesundheitsgefahren Lancet Countdown 2023 sieht durch Klimakrise unmittelbaren Handlungsdruck
Die Gesundheitsgefahren des Klimawandels sind immer besser nachweisbar, weiteres Nichthandeln ist gefährlich – der diesjährige Lancet Countdown ist eine besorgniserregende Bestandsaufnahme (s. Kasten oben). Eine der Kernaussagen des Berichts: Die Welt bewegt sich in die falsche Richtung. Regierungen, Unternehmen und Banken investieren weiter in Öl und Gas, während die Herausforderungen und Kosten der Klimaanpassung weiter ansteigen und die Welt auf irreversible Schäden zusteuert. Längst ist bekannt, dass in einer immer wärmer werdenden Welt nicht nur Infektions-, sondern auch nicht-übertragbare Krankheiten zunehmen. Durch den Klimawandel können sich Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems oder der Atemwege verschlimmern. Zu den vulnerablen Gruppen gehören ältere, vor allem gesundheitlich beeinträchtige Menschen sowie chronisch kranke Patienten, aber auch Schwangere und Kinder.
Untätigkeit bezüglich der Klimakrise koste bereits heute Leben, so der Lancet-Bericht: Im Jahr 2022 waren Menschen im globalen Durchschnitt 86 Tagen gesundheitsgefährdend hohen Temperaturen ausgesetzt. Der zurückliegende Sommer hatte hierzulande 3.200 Hitzetote zur Folge.
Sachstandsberichte „Klimawandel und Gesundheit“
Weil eine regelmäßige Gesundheitsberichterstattung zu den Folgen der Klimakrise heute unerlässlich ist, hat eine vom BMG geförderte interdisziplinäre Netzwerk-Fachgruppe von mehr als 90 Autoren aus etwa 30 nationalen Behörden und Institutionen eine aktuelle Bestandsaufnahme erarbeitet: den dreiteiligen Sachstandsbericht „Klimawandel und Gesundheit“ des RKI, der die aktuellen Auswirkungen der Klimakrise auf die menschliche Gesundheit beschreibt.
Teil 1 befasst sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf Infektionskrankheiten und antimikrobielle Resistenzen. Im Teil 2 geht es um die Auswirkungen des Klimawandels auf nicht-übertragbare Erkrankungen und die psychische Gesundheit. In Teil 3, der Ende November erschienen ist, liegt der Fokus auf Klimagerechtigkeit, Kommunikation und Handlungsoptionen.
Nächster Hitzeaktionstag ist am 5. Juni 2024
Auch in Deutschland hat sich die Datengrundlage und Evidenz hinsichtlich der Gesundheitsgefahren der Klimakrise verbessert. So gibt es etwa einen dreiteiligen Sachstandsbericht des Robert Koch-Instituts „Klimawandel und Gesundheit“ (s. Kasten unten). Und der Sachverständigenrat für Umweltfragen hat im Juni sein Sondergutachten „Umwelt und Gesundheit konsequent zusammendenken“ veröffentlicht. Ein wissenschaftliches Beratungsgremium empfiehlt darin, den gesundheitsbezogenen Umweltschutz als politische Querschnittsaufgabe auf den Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen stärker zu vernetzen. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat sein Hauptgutachten „Gesund leben auf einer gesunden Erde“ ebenfalls im Juni publiziert.
Das neue Gutachten analysiert mit einem globalen Blick die Wechselwirkungen von Natur und Menschen. „Die Wissenslage ist so gut wie noch nie und wird immer besser“, sagte die Moderatorin Maike Voss, Geschäftsführende Direktorin des Centre for Planetary Health Policy bei der Vorstellung des Berichtes. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, dass der Bund die Gelder in Höhe von 60 Milliarden Euro, die zur Bekämpfung der Corona-Krise gedacht waren, nicht für den Klimaschutz ausgeben darf, schätzt sie als beunruhigend ein.
Viele Praxen haben schon Hitzeschutz auf der Agenda
Der Klimawandel sei in den Haus- und Kinderarztpraxen, in Notaufnahmen, auf den Intensivstationen, in der Langzeitpflege längst spürbar, so Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer. Schwerere Krankheitsverläufe seien durch die veränderten klimatischen Bedingungen zu beobachten, die zudem den Ausbruch vektorenbedingter Krankheiten wie Dengue- oder West-Nil-Fieber begünstigten.
Diesen neuen Anforderungen stelle sich die Ärzteschaft. So initiierten etwa die Bundesärztekammer und die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V. am 14. Juni 2023 den ersten bundesweiten Hitzeaktionstag. „Die zentrale Botschaft: Hitzeschutz darf in Deutschland nicht länger ein Nischenthema bleiben.“ Der nächste Termin für einen gemeinsamen Hitzeaktionstag ist der 5. Juni 2024.
Gemeinsame Initiativen wurden außerdem mit Hausärzten zur klimaresilienten Versorgung und zur Hitzeschutzaufklärung in Hausarztpraxen gestartet. Der Schwerpunkt der Initiativen liege derzeit in der Kommunikation und der Sensibilisierung der Bevölkerung. Ausreichend seien diese Maßnahmen „bisher natürlich noch nicht“, so Dr. Reinhardt. „Wir benötigen Hitzeschutzpläne und -bündnisse auf der Ebene aller Bundesländer und in den einzelnen Regionen. Und im Gesundheitswesen einen strukturellen Wandel hin zu Klimaschutz und -anpassung.“ Dies betreffe die Prozesse in der Versorgung, angefangen bei der Frage, wie die Beschäftigten ihren Arbeitsweg in die Klinik oder Praxis zurücklegten über die Abfallvermeidung bis hin zum notwendigen Wandel bei der Gebäudesubstanz. Nicht einfach in Zeiten leerer Kassen. „Ohne zusätzliche Mittel wird dieser Wandel nicht zu bewerkstelligen sein, weder im stationären noch im ambulanten Bereich“, befürchtet er.
Dr. Ute Teichert, Leiterin der Abteilung Öffentliche Gesundheit im Bundesgesundheitsministerium, verwies auf die „deutliche Unterstützung“ des Themas durch Minister Lauterbach. „Umwelt- und Klimaschutz sind immer auch Gesundheitsschutz“, sagte sie. „Es geht nicht um Lieblingsprojekte einzelner politscher Parteien und Personen, sondern es betrifft uns alle.“ Der Hitzeschutzplan des BMG sei nur ein erster Schritt gewesen.
Klimaschutz ist Menschenschutz
Zum achten Mal analysierten die Mitglieder des Lancet Countdown die globalen Auswirkungen des fortschreitenden Klimawandels auf die Gesundheit. In der internationalen Forschungskooperation arbeiten 114 Wissenschaftler aus 52 Forschungseinrichtungen und UN-Organisationen, auch der WHO, zusammen.
Dabei werden 47 Indikatoren in 5 Bereichen untersucht. Das Fachwissen tragen u.a. Mathematiker, Physiker, Verkehrs- und Energie- sowie Gesundheitsexperten und Sozialwissenschaftler zusammen.
Der neue Countdown sei ein „lebendes Evidenzsystem“, so Dr. Jan Minx. Er leitet die MCC-Arbeitsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung und ist Gastprofessor für Klimawandel und öffentliche Politik am Priestley International Centre for Climate an der Universität Leeds.
Selbst in einem 2-Grad-Szenario bis Mitte des Jahrhunderts könnten die hitzebedingten Todesfälle bereits um 370 % steigen, 50 % mehr Arbeitsstunden aufgrund von Hitze verloren gehen und 525 Millionen Menschen zusätzlich von mäßiger oder schwerer Ernährungsunsicherheit durch Hitzewellen betroffen sein. Das Übertragungspotenzial für das Dengue-Fieber könnte um 37 % steigen.
Jetzt gehe es um die Durchsetzung verstärkter Anpassungsbemühungen, um die Gesundheitslast für alle zu senken. „Klimaschutz und Klimaanpassung sind Menschenschutz“, betonte Dr. Minx.
Ganzjahresplan in vier Schritten
Längerfristig soll ein Prozess der Hitzeschutzplanung nach französischem Vorbild etabliert werden, führte sie an. Ein Ganzjahresplan in vier Schritten: die Reflexion der Hitzeschutzmaßnahmen im vergangenen Sommer, die Ableitung von Handlungsfeldern für die kommenden Sommermonate, deren frühzeitige Überprüfung im Frühjahr (Preparedness-Check), die Umsetzung der Maßnahmen im Sommer. Damit etabliere man einen Public-Health-Action-Cycle, bei dem man nachsteuern könne. Klimaschutz und Gesundheit will das BMG auch im neuen Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) verankern, u.a. durch KI-unterstützte Datenanalysen.
„Wir haben einen Gesundheitsnotstand“, erklärte Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Leiterin der Abteilung für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg und Direktorin des Instituts für Umweltmedizin bei Helmholtz München. „Während der Sommerperiode sehe ich die Patienten bei mir in der Ambulanz mit hitzeassoziierten Erkrankungen und versuche, Lösungen zu finden“, machte sie die Situation deutlich.
Ein medizinischer Notfall bedingt sofortiges Handeln
„Wir müssen die Klimakrise als medizinischen Notfall anerkennen und sofort handeln!“, appellierte die Dermatologin und Allergologin. Die Beschwerden in Hitzeperioden seien vielfältig: Herzinfarkte, Lungenversagen, Erschöpfung, Depression, Schlaflosigkeit, Neurodermitis.
Die umweltbedingten Erkrankungen, kardiovaskuläre und chronisch respiratorische Erkrankung, Krebs, Diabetes und mentale Erkrankung, die heute schon 71 % der Todesfälle weltweit ausmachen, seien „genau die Erkrankungen, die durch die Hitze und den Klimawandel weiter angefeuert werden“, warnte die Ärztin. Schon heute litten 30 % der Menschen in Deutschland unter allergischen Reaktionen. Durch den Klimawandel gebe es nicht nur längere Pollenflugzeiten, sondern auch mehr Pollen pro Tag, und jene, die durch Schadstoffe und Hitze aggressiver werden, obendrein neue Kandidaten wie Ambrosia-Pollen. Es dürfe aber nicht nur darum gehen, Krankheiten kurativ zu therapieren, sondern sie durch Prävention zu verhindern, so Prof. Traidl-Hoffmann.
Hitzeperioden sind begleitet von Lungen- versagen, Herzinfarkte und Neurodermitis
Dr. Eckart von Hirschhausen von der Stiftung Gesunde Erde Gesunde Menschen schlug vor, weniger über die Klimakrise zu reden, sondern mehr über das, was die Menschen bewegt, wie Gesundheit, Familie, Sicherheit. Man müsse, wie es auch der Lancet Countdown 2023 beschreibt, „die Energiewende als Gesundheitswende“ klarer definieren, fordert er.