
Kommentar Lass das mal den Magnetiseur machen

Familienausflüge sind langweilig? Nicht mit meinem Schwiegervater. Er möchte, dass ich ihn zum Magnetiseur begleite und fragt, ob ich mich bei dieser Gelegenheit auch gleich mit behandeln lassen möchte. Klingt verrückt, aber ich bin interessiert. Nach einer kurzen Internetrecherche sage ich zu. Immerhin wird der Wunderheiler auf Google mit 4,3 von 5 Sternen bewertet. Sogar Céline Dion hat er behandelt.
Wir parken auf dem Hof eines alten Bauernhauses. Der Schwiegervater marschiert Richtung Hintereingang. Ich folge ihm. Es geht direkt ins Behandlungszimmer. Der Holzboden knischt, der Ofen knistert. In den Vitrinen der rustikalen Schrankwand stehen lustige Kuhfiguren. An den Wänden hängen Fotos von einem Eishockeyspieler und zwei vergilbte Diplome. Daneben ein Bild, dem ich den Titel „Jesus, der Heiler“ geben würde. Kurz wird mir etwas mulmig.
Obwohl die Sitzung erst in einer Viertelstunde beginnen soll, ist der Stuhlkreis schon besetzt. Im Zwei-Minuten-Takt klingelt es an der Tür. Immer mehr Leute betreten den Raum. Ganz gewöhnliche Menschen, die man auch im Wartezimmer einer Arztpraxis finden würde. Aus dem Nebenraum kommt ein braun gebrannter Mann mit weißen Zähnen und moderner Brille: der Magnetiseur. Kein Tamtam, keine Anamnese, sofort beginnt er mit der Arbeit. Jedem legt er etwa zehn Sekunden lang die Hände auf die Schultern, schaut zwischendrin auf sein Smartphone, erzählt ein bisschen von sich. Mehr als 40 Jahre mache er das schon. Seine Energie reiche in etwa bis 80 kg. Auf seine Frage, wer zum ersten Mal da ist, melden sich nur wenige. Stabile Stammkundschaft.
Schnell sind wir fertig, zum Bezahlen gehen wir in den Nebenraum. Zwischen Waschmaschinen und Vorratsregal holt mein Schwiegervater zwei Scheine aus dem Portemonnaie. Ein Restaurantbesuch wäre teurer gewesen. Dann teilt der Magnetiseur uns seine Diagnosen mit. Ich staune – unsere Wehwehchen hat er richtig erkannt. Trotzdem ist mein HWS-Syndrom nicht plötzlich verschwunden. Schade, da muss ich wohl selbst weiter dran arbeiten. Dem Schwiegervater allerdings geht es deutlich besser. Also wieso nicht mal zum Magnetiseur gehen, wenn man dran glaubt?