Nutzen des Einsatzes von Social Care Nurses für Tumorpatienten belegt

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Jemand, der mit Rat und Tat zur Seite steht, ist sehr wertvoll für Krebspatienten. Jemand, der mit Rat und Tat zur Seite steht, ist sehr wertvoll für Krebspatienten. © Photographee.eu – stock.adobe.com

Ein professioneller, aber individueller Beistand im Prozess der medizinischen Versorgungsabläufe hat für Krebspatienten erhebliche Vorteile. Und auch für den Krankenversicherer. Das zeigt das Projekt OSCAR.

Beim Onkologischen Social Care Projekt (OSCAR) handelt es sich um ein vom Innovationsfonds mit 1,4 Mio. Euro gefördertes Versorgungsprogramm, das die pronova BKK gemeinsam mit dem BKK-Dachverband entwickelt und inzwischen abgeschlossen hat. Im Mittelpunkt steht der Einsatz der Social Care Nurse (SCN). Sie soll künftig im Rahmen der Regelversorgung Patienten mit Tumorerkrankungen wie akuter Leukämie, aggressivem Myelom, metastasierendem Dickdarmkarzinom, Karzinomen der Lunge und der Bauchspeicheldrüse zur Seite stehen, so die Idee. Die bisherigen Ergebnisse stimmen die Beteiligten zuversichtlich.

Begleitung für ein Jahr, erprobt in drei Kliniken

Die Unterstützung durch die „Kümmerer“, wie sie Anne-Kathrin Klemm vom BKK-Dachverband bezeichnet, soll möglichst schon ab der Diagnosestellung greifen und nicht erst, nachdem alle Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft sind. Erprobt wurde die Arbeit der Nurses ab 2018 an den Projektstandorten Charité Berlin, Klinikum Leverkusen und Helios Klinik Duisburg.

Ein Jahr lang waren die Nurses während des kompletten Krankenhausaufenthaltes und letztlich auch bei der ambulanten und anschließenden Versorgung für die Patienten da, bei fachpflegerischen oder sozialversicherungsrechtlichen Fragestellungen. Zugleich agierten sie als Schnittstelle zwischen behandelnden Ärzten, Pflegenden, Reha-Therapeuten etc. sowie als Koordinatoren der Versorgung.

Hierfür sei es von Bedeutung gewesen, „die Bedürfnisse für diese besonders vulnerablen Patienten zu erfragen, zu erkennen und angemessene Unterstützung anzubieten“, berichtete Volker Latz, Abteilungsleiter Versorgung der pronova BKK. Zentrale Fragen dieser Patientinnen und Patienten beträfen auch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Lebensende, was Ängste auslöse. So könne z.B. auch der 18. Geburtstag der Enkelin in zwölf Wochen ein wichtiger Termin sein, der in die Therapieplanung einfließen sollte, so Lanz. Mittels standardisierter Fragebogen zur Lebensqualität wurden die Patientenwünsche und -präferenzen ermittelt. 

Professor Dr. Anne Letsch, ehemalige Leiterin des Projekts ­OSCAR an der Charité, erklärte, dass bei maßgeschneiderten Therapien für die Patienten individuelle Faktoren wie Geschlecht, Alter, Komorbiditäten, Funktionsstatus, Ernährung, körperliche Aktivität oder Komedikation zu beachten sind. Denn nur unter Berücksichtigung von psychosozialen Aspekten sei man in der Lage, „ein passendes supportives und palliatives, ergänzendes Versorgungskonzept zu designen“. Und besonders wichtig sei es, in diesem Setting die Patienten und Patientinnen mitzunehmen, sie in die Lage zu versetzen, tatsächlich selbstständig Entscheidungen zu treffen. Gebraucht würden hierfür Patientenkompetenz sowie verständliche Patienteninformationen.

„Ein Fels in der Brandung“ für Patienten mit Krebs

Die Ausbildung der SCN basiert auf der Ausbildung zum Onkolotsen, wie sie die Sächsische Krebsgesellschaft (SKG) seit 2010 anbietet. Das Curriculum setzt sich aus 130 Unterrichtseinheiten zusammen plus zusätzlichen 25 Einheiten mit Präsentationen, Plenumsdiskussionen und aktiven Übungen. 

Social Care Nurses seien tatsächlich „ein Fels in der Brandung für die Patientinnen und Patienten mit onkologischen Erkrankungen“, zeigte sich die SKG-Vorstandsvorsitzende Professor Dr. Ursula Froster überzeugt. Es brauche „Vermittler, oder wie man heute sagt, Translateure bzw. Translation, um komplexe medizinische Sachverhalte und Therapiewege zu erläutern und den Patienten zugänglich zu machen“. Eigentlich gehörten in jede onkologische Einheit mindestens zwei Social Care Nurses, auch bei niedergelassenen Onkologen und anderen Facharztrichtungen, die sich hauptsächlich mit onkologischen Fragestellungen beschäftigten, so Prof. Froster (siehe Kasten links unten). 

Auch Onkolotsen wären als Regelleistung hilfreich

Zurzeit begleiten in Deutschland 218 Onkolotsen an Krebs erkrankte Menschen. Dafür ausgebildet wurden sie durch die Sächsische Krebsgesellschaft. Die Finanzierung ist unterschiedlich geregelt. Die Vorstandsvorsitzende Prof. Dr. Ursula Froster sprach sich für einen möglichst flächendeckenden Einsatz von Onkolotsen aus. Dieser sei aber nur bei Aufnahme des Projekts in die Regelversorgung realisierbar, wie auch bei den Social Care Nurses angestrebt. „Das wäre ein schönes politisches Ziel für die nächste Bundesregierung. Die jetzige wird es ja nicht mehr schaffen.“ Onkolotsen sollten dann nicht nur dem stationären Bereich angegliedert sein, so Prof. Froster, sondern auch dem ambulanten Sektor. Eine solche Regelung sei wichtig, denn die Patienten würden langfristig in der Peripherie versorgt, nicht in Zentren. Es sei der niedergelassene Onkologe, Humangenetiker oder Facharzt und besonders der Hausarzt, dem ein Onkolotse oder eine Onkolotsin zur Seite stehen sollte.

Laut Evaluator Professor Dr. ­Liane Schenk, Institut für Medizinische Soziologie und Rehabilitationswissenschaft der Charité, lagen sowohl die globale gesundheitsbezogene als auch die krebsspezifische Lebensqualität in der Interventionsgruppe sechs Monate nach Beginn der Intervention über jener der Kontrollgruppe. Dieser Effekt sei sowohl statistisch signifikant als auch klinisch relevant. Weiterhin hätten in der Mehrzahl aller funktions- und symptombezogenen Subskalen ebenfalls bis zum Zeitpunkt von sechs Monaten nach Studienbeginn Verbesserungen zugunsten der Interventionsgruppe beobachtet werden können. Das beträfe vor allem die kognitive und die soziale Funktionen. Interventionspatienten hätten auch bessere Werte bezogen auf Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Atemnot sowie Übelkeit und Erbrechen erreicht. Positive Effekte zugunsten der Interventionsgruppe hätten sich weiterhin hinsichtlich höherer Informationspräferenz und einer Verbesserung der Arzt-Patienten-Kommunikationen nach drei Monaten gezeigt, so Prof. Schenk. Zu sehen gewesen seien weniger Entscheidungskonflikte und eine höhere Gesundheitskompetenz nach sechs Monaten. Empfohlen werde deshalb, die neue Versorgungsform in die Regelversorgung zu überführen, „und zwar als sechsmonatiges Angebot, weil in diesem Zeitraum die Effekte nachweisbar waren“. 

Praktische Erfahrungen der Fachkräfte

Was sagen die Social Care Nurses selbst zu dem Projekt? Katja Russ und Nora Koppotsch haben sich im Rahmen von OSCAR um die Schwerkranken und deren Angehörigen gekümmert. Ihr Einsatzort war die Berliner Charité. „Das Besondere an dieser Aufgabe ist, dass ich im Vergleich zu meiner Tätigkeit als Krankenschwester auf einer Station deutlich mehr Zeit habe und ich mich individuell auf den Patienten einlassen und den individuellen Beratungsbedarf erkennen kann“, berichtete Nora Koppotsch im Projektvideo. Zeit zu bekommen, das sei das Hauptbedürfnis, das die Kranken immer wieder ansprechen würden, bestätigte Katja Russ. Die Phase im Krankenhaus sei für die Patienten ein kurzer Abschnitt, aber die onkologische Erkrankung und die Folgen blieben. Letztere würden meistens erst zu Hause sichtbar, ob im familiären Setting, beruflich, finanziell oder gesellschaftlich. „Deswegen ist es wichtig, dass die Patienten weiter einen Ansprechpartner haben, der hier helfen kann.“ Bedarf bestehe auch an Gesprächen über Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Für viele sei es eine große Entlastung gewesen, für diese Themen einen Außenstehenden zum Reden zu haben.

Geringere Kosten für beteiligte Krankenkassen

Positives berichtete die Wissenschaftlerin auch hinsichtlich der ökonomischen Auswirkungen: „Die bereinigten monatlichen Gesamtgesundheitskosten pro Patientin und Patient lagen in der Interventionstruppe statistisch signifikant unter jenen der Kontrollgruppe.“ Das sei vor allem auf die geringeren Krankenhauskosten sowie die niedrigeren Kosten der Verordnungen für Arzneimittel und Heil- und Hilfsmittel zurückzuführen. Alle Projektbeteiligten hoffen nun auf eine Überführung der OSCAR-Erfahrungen in die Regelversorgung. Die Berichte würden den entsprechenden Gremien zur Verfügung gestellt. Dr. Johannes Bruns, Generaldirektor der Deutschen Krebsgesellschaft e.V., befürchtet aber, dass daraus nicht schnell etwas wird. Es gäbe keinen Standard, wie man zur Regelversorgung komme. Da gehöre Politik an den Markt, die das ins Gesetz nehme. „Der Innovationsfonds hat großartige Projekte hervorgebracht, nun muss man an dieser Stelle nachbessern, ansonsten wird viel Motivation einfach im Sande verlaufen und zu Frustration werden“, so Dr. Bruns.

Quelle: Medical-Tribune-Bericht