Oldies in die Produktion!
Die Protagonisten der Social-Media-Kanäle haben einen Helden mehr: den 89-jährigen Joe Bartley aus dem beschaulichen britischen Küstenort Paignton. Der rüstige Rentner begeisterte die britische Nation durch sein Stellengesuch in der Lokalzeitung mit dem Titel „Retten Sie mich davor, vor Langeweile zu sterben!“ Als Referenz gab er an: alter Soldat, Luftwaffe. Eine 20-Stunden-Woche oder sogar etwas mehr konnte sich der 89-Jährige vorstellen. Und er brauchte nicht lange zu warten: Ein nahe gelegenes Bistro stellte ihn als Kellner ein.
"Bis zum 83. Jahr geputzt, um über die Runden zu kommen"
Der sympathische „Held der Arbeit“ bedient seither gut gelaunt die Kunden und freut sich, das ein oder andere Schwätzchen bei der Arbeit zu führen. Kundenbindung funktioniert nun mal so, wie die Besitzerin des Bistros weiß. Nebenher gibt er das ein oder andere Interview und posiert während der Arbeit für allerlei britische Magazine und Zeitungen. Klingt nach einem Happy End.
Unterschlagen wird in der Berichterstattung zumeist, dass der Mann bis zu seinem 70. Lebensjahr voll berufstätig war und danach bis zum 83. als Putzkraft arbeiten musste, um über die Runden zu kommen. Auch sein letztes Jobgesuch war nicht nur der Langeweile, sondern primär der Zahlung seiner Miete geschuldet. Das klingt nicht mehr ganz so nach nettem Opa, der voller Enthusiasmus seine immer noch vorhandene Arbeitskraft (zu günstigen Konditionen) in den Dienst der Allgemeinheit stellt.
Alter Mensch braucht Geld, Niedriglohnsektor braucht Arbeitskräfte, die gegen katastrophale Arbeitsbedingungen nicht aufbegehren, weil sie keine Wahl (mehr) haben. Win-win gewissermaßen. Und allenthalben schon als Modell für das Heer der vielleicht doch nicht mehr so nutzlosen Alten propagiert. Es warten Millionen Niedriglohnjobs, in denen sich die Oldies lustvoll austoben, ihre Endlife-Crisis überwinden oder sich einfach noch mal selber „finden können“. Und wie viele dieser Jobs könnte man sogar noch in Ehrenämter umwandeln, schließlich kommt man damit den Wünschen nach sozialer Inklusion und Nützlichkeit der Ü65 entgegen. Kapitalismus ohne doppelten Boden kann so schön sein. Und liegt auch voll im Trend.
Wer hat jetzt nicht die toughen Senioren in weißem Outfit vor cleaner Kulisse vor Augen, die als Berater noch mal durchstarten. Ob der ehemalige Straßenbauarbeiter, der Handwerker, die Krankenschwester oder die Putzfrau, die ihren Körper ihr Berufsleben lang geschunden haben und mit 60 kaum mehr gerade stehen können, ihre Erfüllung im Zweitjob mit 85 finden, mag bezweifelt werden. Aber schließlich hätten sie ja privat vorsorgen können – oder etwa nicht?
"Schaffen Sie sich doch einfach eine wesentlich jüngere Partnerin an"
Auch die Generation der heute 20- bis 40-Jährigen sollte sich schon früh fit halten für den Job im Alter – viele der „Generation Praktikum“ können nur noch mit homöopathischen Dosen an sozialer Absicherung im Alter rechnen. Aber Verzicht ist ja auch irgendwie „in“ … Noch kann verhindert werden, dass Arbeiten bis ins hohe Alter aus materieller Not zum Massenphänomen wird. Dazu muss die Politik endlich die Reißleine ziehen und die Rücklagen der Rentenversicherung zu einer solidarischen Reserve ausbauen, um so das Rentenniveau langfristig zu sichern. „Die Politik“ tut, was „das Volk“ vehement einfordert. Schauen wir mal … Einstweilen ein Rat vom Zyniker: Seien Sie nett zu Ihren Kindern oder schaffen Sie sich einen wesentlich jüngere(n) Partner(in) an – dann klappt das auch mit der täglichen Mahlzeit.