Stellvertreter-Ohrfeigen – Angriffe gegen Ärzte und medizinisches Personal
Die Fälle häufen sich. Allein von Juli bis Oktober dieses Jahres kam es beispielsweise in der Notaufnahme der Münchener Ludwig-Maximilians-Universitätsklinik durchschnittlich alle zwei bis drei Tage zu massiven Ausschreitungen gegen Ärzte und medizinisches Personal. Beleidigungen, aber auch gewalttätige Angriffe gehören längst zur Tagesordnung. Auch Arztpraxen bleiben mittlerweile von diesen Attacken nicht verschont.
Die Zeiten haben sich geändert und es sind nicht nur Junkies, Alkoholiker und rabiate Partyfreaks, die ihre Aggressionen in zunehmendem Maße ausgerechnet an jenen auslassen, die ihnen eigentlich nur helfen wollen. Unlängst erst wurde ein Internist im Badischen von einem gewaltbereiten Rentner geschlagen, der so seinen Unmut über die vorgeschlagene Behandlungsmethode zum Ausdruck brachte.
Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter oder Vermittler der Arbeitsagentur klagen über ähnliche Auswüchse. Wo ist der Respekt geblieben? Und wie kann man sich als Arzt vor derartigen Gefahren schützen? In der Notaufnahme so mancher Klinik gehören ein eigener Sicherheitsdienst und permanente Videoüberwachung bereits zur Standardausstattung. Doch wie soll sich die "normale" Arztpraxis wappnen?
"Der Arzt wird zum Sündenbock für die Rationalisierung im Gesundheitswesen gemacht"
Hundertprozentige Sicherheit wird auch Prävention nicht vermitteln, doch können Deeskalationsseminare (auch für das Praxispersonal) und das Erlernen spezieller Kommunikationstechniken im Notfall durchaus hilfreich sein. Das Problem und seine Entstehung werden dadurch jedoch nicht gelöst. Oftmals nämlich wird der Arzt zum Sündenbock für die fortschreitende Rationalisierung im Gesundheitswesen gemacht. Und dann kassiert er als das letzte Glied in der Kette Stellvertreter-Ohrfeigen, die eigentlich der Politik zugedacht sind.
Indirekt befördert bestimmt auch das fortwährende "Ärzte-Bashing" in der Öffentlichkeit die aggressiven Verhaltensweisen von Patienten und deren Angehörigen. Das muss ein Ende haben. Stattdessen sollte man in Berlin mal darüber nachdenken, wie man künftig Ärzte und ihr Personal besser schützen kann. Statistisch gesehen wird jeder sechste Internist im Laufe seines Berufslebens einmal heftig angegriffen. Der Arztberuf ist also keineswegs ungefährlich und auch verbale Attacken hinterlassen auf Dauer Spuren.
Das Ärzte-Gelöbnis einer gewissenhaften Berufsausübung ohne die Möglichkeit einer Zurückweisung bestimmter Personen schließt das Risiko ein, Opfer von Angriffen auf Leib und Leben zu werden. So bewegt sich der Mediziner auf ganz dünnem Eis, wenn er die Behandlung eines Problempatienten abbricht. Die Bedrohung müsse schon sehr konkret sein, um diesen Schritt zu rechtfertigen, sagen schlaue Juristen. Vielleicht sollten Sie die mal zu einem Hausbesuch in eine fremde Wohnung mitnehmen, am besten nachts. Das mulmige Gefühl, das einen dabei beschleicht, wird man nämlich so leicht nicht mehr los …