Rassismusbeauftragter einer Ärztekammer: Manche Mediziner erklären Schwerkranke für abschiebefähig
Ein Praxischef behauptet, deutsche Mitarbeiter seien zuverlässiger als die anderer Nationalitäten. Ein älterer Herr im Wartezimmer beleidigt eine Medizinische Fachangestellte, weil sie ein Kopftuch trägt. Ein wütender Patient meint, er werde wegen seiner ausländischen Wurzeln schlechter behandelt.
Rassistische Kommentare und Handlungen gehören leider zum Praxisalltag. Um Betroffenen eine unkomplizierte Beschwerde zu ermöglichen, hat die Ärztekammer Hessen kürzlich einen Rassismusbeauftragten ernannt: Dr. Ernst Girth geht rassistischen Vorfällen nach und wird künftig Strategien gegen Rassismus im Gesundheitswesen entwickeln.
Als Menschenrechtsbeauftragter beschäftigt sich der 74-jährige Kardiologe ohnehin seit fast 20 Jahren mit Fällen von Intoleranz jeglicher Art. Doch möchte die Ärztekammer mit der neuen Stelle ein ausdrückliches Signal gegen Rassismus setzen. Sie unterstützt das Projekt „Hessen gegen Hetze“, mit dem die Landesregierung gegen Hasskommentare im Internet vorgeht.
Kommt es in einer medizinischen Einrichtung in Hessen zu Fällen von Intoleranz, können sich die Betroffenen an Dr. Girth wenden – egal, ob als Patient, Arzt oder Mitarbeiter.
Rassistisches Verhalten verletzt die ärztliche Berufsordnung
Beschuldigte Mediziner weist der Kardiologe darauf hin, dass sie gegen ihre Berufsordnung verstoßen. „In der Regel bekomme ich schnell die Antwort, dass so etwas nicht mehr passieren wird“, berichet er. Wenn jemand nicht reagiert oder keine Einsicht zeigt, leitet er den Fall an die Rechtsabteilung der Kammer weiter. Diese ermittelt dann berufsrechtlich.
Der Beauftragte schätzt, dass er es monatlich im Schnitt mit drei bis vier Meldungen zu tun hat. Ärzte wenden sich nur äußerst selten an ihn, meist beschweren sich Patienten. Manchmal schaltet Dr. Girth sich auch aus eigener Initiative ein – vor allem, wenn Menschen abgeschoben wurden, obwohl das aus gesundheitlichen Gründen nicht hätte geschehen dürfen.
Eine zentrale Rolle spielen dabei medizinische Gutachten zur Reisefähigkeit, die Amtsärzte oder beauftragte Mediziner verfassen. Sie seien teilweise sehr fraglich, berichtet der Kardiologe. Beispielsweise stellte 2017 ein afghanischer Arzt am Flughafen von Kabul fest, dass ein aus Hessen abgeschobener Mann psychisch schwer krank war und gemäß afghanischer Richtlinien nicht aufgenommen werden konnte. Er wurde zurück nach Deutschland gebracht.
Dr. Girth versuchte herauszufinden, welcher Arzt das falsche Gutachten über den Patienten verfasst hatte, scheiterte aber am Regierungspräsidium Darmstadt. Gleiches geschah im Fall einer Patientin, die abgeschoben werden sollte, obwohl sie wegen eines Suizidversuchs stationär psychiatrisch behandelt wurde. Die Behörde argumentiert, die Nennung des Arztes würde die Erfüllung ihrer Aufgaben ernstlich gefährden. Ein hessisches Gesetz erlaubt es unter dieser Bedingung, die Identität des Arztes nicht preiszugeben. „Das ist leider kein Einzelfall. Oft kommen wir nicht an verbeamtete Mediziner heran, die gegen die Berufsordnung verstoßen“, kritisiert Dr. Girth. In den kommenden Wochen wird er mit dem Land und dem Präsidium eine Lösung diskutieren.
Hessen ist das einzige Bundesland, in dem es zumindest theoretisch möglich ist, verbeamtete Mediziner wegen Verstößen gegen die Berufsordnung zu belangen. Vierlerorts unterstehen sie nur der Disziplinargewalt des Landes. Im Fall von Abschiebungen sei dies äußerst problematisch, gibt Dr. Girth zu bedenken, denn die Institution, die abschiebe, beschäftige auch die Mediziner, die die benötigten Gutachten schreiben. Der Kardiologe setzt sich dafür ein, Ärzte in allen Bundesländern der Berufsordnung zu unterstellen, auch die verbeamteten. Er wünscht sich, dass die Behörden dies dann respektieren.
In einem anderen schweren Fall versuchte ein Richter zu verhindern, dass einem Patienten mit Migrationshintergrund eine Leber transplantiert wird. Er war der Meinung, der Mann sei nicht geeignet, obwohl Internist und Transplantationsmediziner zuvor gegenteilige Gutachten geschrieben hatten. Dr. Girth setzte sich für den Patienten ein, er bekam das Organ schließlich.
Auch mit kleineren Vorfällen hat der Beauftragte regelmäßig zu tun, etwa, wenn Patienten wegen ihres Migrationshintergrundes schlechter behandelt werden. Und auch Gefängnisinsassen erleiden Diskriminierung. Dr. Girth ist bereits seit den 1970er-Jahren berufspolitisch aktiv. Er entschied sich, Menschenrechts- und Rassismusbeauftragter zu werden, um Betroffenen konkret helfen zu können.
Menschenrechtsbeauftragte der Kammern gut vernetzt
In Zukunft soll er für die Ärztekammer Hessen eigene Konzepte gegen Rassismus im Gesundheitswesen entwickeln. „Bevor ich das tun kann, muss ich aber erst mal sehen, wie die Inanspruchnahme ist und wo man systematisch ansetzen kann“, meint der Kardiologe. Er ist eng mit den Menschenrechtsbeauftragten der anderen Ärztekammern vernetzt. Zwei Mal im Jahr tauschen sie sich bei Bundestreffen über ihre Arbeit aus. „Leider informieren einige Kammern nicht darüber, dass es bei ihnen einen solchen Beauftragten gibt“, kritisiert Dr. Girth. In diesem Punkt bestehe großer Nachholbedarf.
In der Ärztekammer Hessen gibt es neben dem Menschenrechts- und Rassismusbeauftragten auch einen Mobbing- und einen Suchtbeauftragten. Ein Gleichstellungsbeauftragter existiert allerdings nicht.
Kontakt zu Dr. Ernst Girth: menschenrechtsbeauftragter@laekh.de