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O-Ton Innere Medizin „Sektorengrenzen brauchen wir nicht“

Lauterbach: „Krankenhausreform scharf gestellt.“ So titelte das Bundesgesundheitsministerium in einer Pressemitteilung Ende Januar. Gemeint ist: Jetzt geht es los mit dem Leistungsgruppen-Ausschuss und dem Grouper sowie der Transformationsfonds-Verordnung. Allerdings: Die Ausgestaltung des Krankenhausversorgungsstärkungsgesetzes (KHVVG) wird vielleicht nach der Bundestagswahl nicht mehr in den Händen des rheinländischen SPD-Politikers liegen.
Prof. Dr. Petra-Maria Schumm-Draeger glaubt jedoch nicht, dass die Entwicklung der Krankenhausreform „an eine Person geknüpft ist“. Auch ihr Kollege Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland betont: „Alle Beteiligten sind in der Verantwortung. Wir müssen den Prozess jetzt gemeinsam sachgerecht und patientenorientiert gestalten.“ Die Internistin aus München und der Internist aus Aachen sind die Vorsitzenden der Kommission Struktur der Krankenversorgung der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM).
Auf die Frage, ob wir bei der stationären Versorgung in fünf bis zehn Jahren vor Ruinen oder in blühenden Landschaften stehen, antworten beide optimistisch. Prof. Müller-Wieland geht davon aus, dass eine funktionierende Digitalisierung eine wesentliche Rolle spielen wird. Vernetzung ermögliche andere Versorgungskonzepte. „Wir brauchen nicht immer nur den Spezialisten vor Ort, der Spezialist kann auch bedarfsorientiert zum Patienten oder in die Region kommen.“
Zentrierung spezialisierter Leistungen ist sinnvoll
Der wissenschaftliche Leiter am Studienzentrum der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Internistische Intensivmedizin der Uniklinik RWTH Aachen ist froh, dass das Gesetz der Ampel im Bundesrat durchgekommen ist. Der Einstieg in eine Umstrukturierung und auch die eingeschlagene Richtung seien besser, als nichts zu tun. „Wenn nichts passiert, verlieren wir Zeit. Das rettet weder ein Krankenhaus noch ändert es irgendetwas an den Problemen, die sich weiter akkumulieren.“ Die Zentrierung von spezialisierten Leistungen sei medizinisch sinnvoll. Richtig sei auch, dass die transsektorale Versorgung vorangebracht werden soll: „Krankheiten kennen keine Sektorengrenzen.“
Die ambulante Versorgung ist zu stärken
Zu den Dingen, die die DGIM am KHVVG positiv beurteilt, gehört z. B. die geplante Teilhabe kleinerer Kliniken an der ambulanten Versorgung in Regionen, wo es an Praxen fehlt. Gerade das sehen KBV und Berufsverbände kritisch. Prof. Schumm-Draeger, die früher als Chefärztin stationär tätig war und heute in München ambulant arbeitet, kennt die Argumente: Eine Öffnung von Krankenhäusern für vertragsärztliche Leistungen führe zu ineffizienten Doppelstrukturen und schwäche die Praxen. „Nun ist aber doch die ambulante Versorgung zu stärken“, sagt sie. Sie plädiert dafür, die Versorgung gemeinsam zu gestalten – zu fairen Bedingungen. „Die Sektorengrenzen brauchen wir nicht. Wir müssen die Strukturen optimieren.“
Prof. Müller-Wieland gibt zu bedenken: Wenn man sage, dieser oder jener Fall lasse sich auch ambulant statt stationär behandeln – so wie im Ausland –, dann müsse ebenfalls der Versorgungsprozess adäquat gestaltet und finanziert werden. Es gebe z. B. Patientinnen und Patienten, die zu morbid seien, um sie in der ambulanten Versorgung zu belassen. „Nur zu sagen: Das macht ihr nicht und dafür macht ihr jenes mehr oder vice versa, das hilft nicht den Patienten, wird nicht die Kosten senken und auch nicht zu einer besseren Medizin führen.“
DGIM entwirft Empfehlungen fürs Gesundheitsministerium
Der Kommissionsvorsitzende berichtet: Alle Schwerpunktgesellschaften der DGIM arbeiteten an einem Entwurf fürs BMG, die Leistungsgruppen differenzierter bezüglich Strukturvorgaben, Personalbemessung und Verfügbarkeiten zu definieren. So sei z. B. die Angiologie leider nicht in einer eigenen Leistungsgruppe berücksichtigt. Das würde sich essenziell auf die Krankenhausplanung und die Klinikfinanzierung auswirken. Auch müsse die interdisziplinäre Zusammenarbeit differenziert gestaltet werden: „Kann ich zum Beispiel eine Bauchspeicheldüse entfernen, ohne dass ein Diabetologe im Haus ist?“ Das betreffe die Querschnittsfächer ebenso wie etwa Infektiologie, Rheumatologie oder Geriatrie.
Prof. Schumm-Draeger sieht durchaus die Gefahr, dass es zu Kostensenkungsmaßnahmen kommt. Das sei ja schon passiert. Die sprechende Medizin sei ökonomisch nicht interessant, weil sie im aktuellen System kein Geld bringe. Mit der Folge, dass sie aus Kliniken „wegorganisiert“ worden sei. „Es ist eine große Herausforderung, die Dinge wieder so in den Griff zu bekommen, dass die ganze Breite der Medizin für die Versorgung der Patienten und für die Weiterbildung im ambulanten wie im stationären Bereich zur Verfügung steht“, sagt die Internistin.
Weitere Themen der Podcastfolge sind übrigens: die noch notwendigen Rechtsverordnungen zur Ausgestaltung der Krankenhausreform, Nordrhein-Westfalen als Vorreiter, die Weiterbildung der Jüngeren, das Märchen von der Entökonomisierung und warum wir nicht schon jetzt ein Krankenhaus auf dem Mars planen sollten. Zudem wird demnächst eine weitere Folge mit Prof. Schumm-Draeger und Prof. Müller-Wieland zu hören sein – zur Mission und Umsetzung des Ärzte-Codex.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht
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