Krebskranke Geflüchtete „Versorgung läuft inzwischen recht routiniert“

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Die bisherige Therapie der Geflüchteten erfolgte in der Ukraine meist mit etablierten Ansätzen und auf hohem Niveau. Die bisherige Therapie der Geflüchteten erfolgte in der Ukraine meist mit etablierten Ansätzen und auf hohem Niveau. © Pitchayaarch – stock.adobe.com

Viele ukrainische Krebspatient:innen sind zur Zeit in Deutschland in Behandlung. Welche Bedürfnisse bringen sie mit? Und wie klappt es mit der Verständigung? Ein Einblick in die Situation an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. 

An der Charité wurden bislang mehr als 1.300 Geflüchtete aus der Ukraine behandelt, berichtet Prof. Dr. ­Ulrich ­Keller, Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie der Charité. Onkologisch Erkrankte machen davon aber nur einen kleinen Teil aus, die Zahl der stationär Behandelten liegt derzeit meist im mittleren zweistelligen Bereich. Die Mehrzahl der Krebspatient:innen aus der ­Ukraine kann ambulant oder tagesstationär behandelt werden, berichtet der Arzt. Die Versorgung geflüchteter Ukrainer:innen mit Krebs funktioniere inzwischen recht routiniert. 

Auffällig hoch ist die Zahl der ukrainischen Kinder mit Krebs. Rund zehn Kinder würden derzeit in der Klinik versorgt. „Angesichts der niedrigen Inzidenz ist das viel“, erklärt Prof. Keller. In der Ukraine waren vor dem Krieg wenige zentrale Kliniken für die Behandlung der jungen Patientent:innen zuständig. Da die Versorgung jetzt zu einem guten Teil zusammengebrochen ist, werden viele von ihnen nun europaweit auf onkologische Zentren verteilt. Das sei möglich, weil die Kinderonkologie national und international sehr gut vernetzt und organisiert sei, so Prof. Keller. 

Hilfsfonds für Reise Angehöriger 

Die Deutsche Krebshilfe hat einen Hilfsfonds von 2,5 Mio. Euro eingerichtet, der es den Angehörigen von ukrainischen Krebspatient:innen erleichtern soll, anzureisen. Sie seien in der ohnehin extrem belastenden Situation eine wichtige psychologische und soziale Stütze. Aus dem Fonds werden etwa Reise- und Aufenthaltskosten gezahlt. Pro Patient:in ist eine Unterstützung von bis zu 5.000 Euro möglich.

bit.ly/krebshilfe_ukraine

Kostenübernahme ist bei Krebs gesichert

Die Geflüchteten befinden sich in verschiedensten Krankheitsstadien, wenn sie an der Charité vorstellig werden, von der Erstdiagnose bis zur schweren und weit fortgeschrittenen Erkrankung. Die Therapie erfolge nach aktuellstem Standard, betont der Mediziner. In der Ukraine seien die Patient:innen in der Regel bereits sehr gut diagnostiziert und behandelt worden. „Sie kommen mit etablierten Therapien. Das ist nicht immer das Modernste, aber es ist gängig.“ 

Finanziell ist die medizinische Versorgung der Geflüchteten durch das Asylbewerberleistungsgesetz gedeckt. Damit die Kostenübernahme gewährleistet ist, müssen die Betroffenen bei ihrem jeweiligen Sozialamt registriert sein. In Berlin erhalten Ukrainer:innen eine Versichertenkarte, in anderen Bundesländern werden Behandlungsscheine ausgestellt (s. Kasten rechts). Ab Juni sollen Geflüchtete laut Bundesregierung Grundsicherung erhalten. Das würde eine umfassendere medizinische Versorgung ermöglichen.

Bürokratie der Kostenübernahme

Geflüchtete aus der Ukraine können sich zwar bis zu 90 Tage ohne Registrierung in Deutschland aufhalten. Um eine Krebstherapie zu beginnen oder fortzusetzen, ist die Anmeldung beim Sozialamt allerdings dringend zu raten. Andernfalls müssten die Kosten privat gezahlt werden. In den meisten Bundesländern werden Behandlungsscheine ausgestellt, die die Versorgung gemäß Asylbewerberleistungsgesetz abdecken. Niedergelassene Ärzt:innen reichen diese mit der Quartalsabrechnung bei der KV ein. In Berlin, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen gibt es Vereinbarungen zwischen Land und Krankenkassen. Dort werden Versichertenkarten mit besonderer Statuskennzeichnung ausgegeben.

Manche der Patient:innen haben bei der Flucht keine Unterlagen zu ihrer Erkrankung mitgenommen. Details zu Vorgeschichte und bisherigen Diagnosen müssen dann vom Personal der Klinik erfragt werden. „Das unterscheidet sie aber nicht von deutschen Patienten, bei ihnen  fehlen auch oft Unterlagen“, erklärt Prof. Keller. 

Ein weiteres Problem stellt natürlich die Sprache dar. Da Krebs tendenziell ältere Menschen betrifft, sprechen viele der Patient:innen kein Englisch. Sie bringen aber oft Angehörige oder Freunde mit, die übersetzen können. Im Zweifel kommen auch mal Übersetzungs-Apps zum Einsatz, berichtet der Arzt. 

Hinsichtlich der psychoonkologischen Versorgung ist die Sprachbarriere allerdings ein Nachteil. Die Charité könne prinzipiell zwar eine Betreuung anbieten, die gleiche Qualität wie bei einer Therapie in Muttersprache sei aber schwer zu erreichen. International bieten daher einige Verbände und Fachgesellschaften eine provisorische Hilfe an. Etwa die Ukrainische Psychoonkologische Gesellschaft, deren Psychologen Unterstützung über Facebook anbieten.  

Bei allen Patient:innen aus der Ukraine zieht die Charité ihren Sozialdienst hinzu. Er kann in sozialrechtlichen Fragen beraten. Beispielsweise beobachtet das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) unter den Geflüchteten eine große Unsicherheit darüber, auf welche Leistungen ein Anspruch besteht und wie sie eingefordert werden. Seitens der Behörden und Institutionen bekommen sie widersprüchliche Antworten auf diese Fragen. 

Widersprüchliche Auskünfte zum Leistungsanspruch

Um den ukrainischen Geflüchteten die Suche nach medizinischer Hilfe zu erleichtern, beantwortet der Krebsinformationsdienst E-Mail-Anfragen auch auf Ukrainisch und auf Russisch und stellt im Internet ständig aktualisierte Informationen in ukrainischer und russischer Sprache zur Verfügung.

Medical-Tribune-Bericht

Prof. Dr. Ulrich Keller; Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie der Charité Prof. Dr. Ulrich Keller; Ärztlicher Direktor der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie der Charité © Charité