Glosse Von gesunden Arbeitstagen
Ich beginne den Tag mit einem Lächeln. Der Wecker hat zwar viel zu früh geklingelt, aber das ist in Ordnung so. Radikale Akzeptanz. Soll gesund sein. Ich tapse über den winterkalten Fußboden (Energiesparen hat es auf Platz 2 meiner Vorsätze geschafft). Auf dem Weg nach draußen stoße ich mich am Kleiderschrank. Da es für die ganzheitliche Gesundheit wichtig ist, immer achtsam zu sein, spüre ich den Schmerz in seiner ganzen Ausdehnung. Schön, wie intensiv Empfindungen sein können!
Erst mal Frühstück, denn nichts ist wichtiger als ein gesunder Start in den Tag! Das Rezept für den „gesunden Frühstückssmoothie“ erstreckt sich über anderthalb Seiten. Einige der angegebenen Zutaten könnten auch die Namen der Nachbarskinder sein: „Moringa, Goji und Aronia – Essen ist fertig!“ Ich freue mich über diesen Gedanken und püriere alle Superfoods zu einer rotbraunen Masse. Lecker!
Gut gestärkt setze ich mich an den Schreibtisch. Ganz schön schwierig, den ergonomischen Wackelhocker so zu stabilisieren, dass mir im Sitzen nicht schwindlig wird. Laut Produktbeschreibung motiviert er „zum Sitzen in Bewegung“. Dieses Bild motiviert mein Gehirn dazu, sich im Yogasitz zu verknoten.
Ich öffne meine E-Mails, fange an zu lesen. Der Smoothie schmeckt sauer. Fünfzig Minuten nach Beginn meiner Arbeitszeit piept meine Fitnessuhr. Sie erinnert mich daran, eine Bildschirmpause einzulegen. Ich starre zehn Minuten lang ins Nichts und freue mich, wie ich mit einer so einfachen Übung meinen Augen etwas Gutes tue. Danach Teammeeting. Doch gleich zu Beginn piept wieder meine Uhr. Zeit, sich zu bewegen. Ich unterbreche den Termin pflichtbewusst und begebe mich auf die Matte. Gesundheit geht schließlich vor. Beim herabschauenden Hund frage ich mich, ob der Smoothie wirklich eine gute Idee war. Spätestens bei der Kobra wird mir klar: War er nicht.
Zurück am Computer, jetzt aber mal was wegschaffen! Die Fitnessuhr sagt, ich solle eine Achtsamkeitsübung machen. Ich missachte die Erinnerung. Irgendwann muss ich ja auch mal was arbeiten. Sowieso kann ich mich überhaupt nicht konzentrieren – liegt das an der Unordnung auf meinem Schreibtisch? Ich konsultiere einen Ratgeber zu dem Thema. Dort lese ich von Mental Load, Mental Minimalism und kognitiver Hausarbeit. Nach der Lektüre entsorge ich alles in meinem Sichtfeld, was ich nicht zwingend zum arbeiten brauche. Mein Schreibtisch ist jetzt so clean, wie er nur sein kann. Doch was ist mit dem Rest der Wohnung? Der Gedanke sitzt mir quälend im Nacken. Schnell sind die Fenster geputzt, alle Zimmer gesaugt, die Böden gewischt. Ich wecke meinen Computer aus dem Energiesparmodus. Es ist 17:30 Uhr – nun noch schnell das Abendessen zubereiten, einen ausgiebigen Spaziergang an der frischen Luft machen und dann steht einem konzentrierten Arbeitstag nichts mehr im Weg!
Kathrin Strobel
Redakteurin Medizin