Praxiskolumne Von Haien, Heuschrecken und jungen Faultieren

Kolumnen Autor: Dr. Nicolas Kahl

Die Übernahme einer Praxis birgt einige Schwierigkeiten. Die Übernahme einer Praxis birgt einige Schwierigkeiten. © Blue Planet Studio – stock.adobe.com

Als ich vor sechs Jahren begonnen habe, mich mit meiner bevorstehenden Niederlassung zu befassen, führte mich mein Weg auch zu einem Niederlassungsberater der KV Bayerns. Auf meine wiederholte Frage „Was kostet denn nun ein Hausarztsitz?“ wich er mir immer wieder aus. Denn: Die KV halte sich aus solchen Vertragsverhandlungen raus und „ein Sitz“ an sich könne ja sowieso nicht verkauft werden. Genau.

Dann gab man mir aber doch einen Tipp mit auf den Weg. Ich müsse als junger Arzt wissen: Die abgebenden Kollegen hätten sich 30 Jahre lang als ruhige Karpfen in einem Teich getummelt und entspannt vor sich hin gefressen. Kurz vor „ihrem Ende“ würden sich aber viele Karpfen plötzlich einbilden, sie wären Haifische. Sie würden ihre Praxen mit maximaler Härte und größtmöglichem Gewinn veräußern wollen. Ich solle darauf gefasst sein. Diese Aussage hat mich zunächst irritiert. Sie kam mir dann aber bei den vielen Übernahmeverhandlungen für mich oder befreundete Kolleg:innen doch immer wieder in Erinnerung.

Ich hatte Glück: Ich habe Praxisabgebende gefunden, die an einer Fortführung ihrer Praxis im Sinne ihrer Patient:innen interessiert waren und eine faire Übernahme als Ziel hatten. In meinem Umfeld sind aber zahlreiche Übergabegespräche gescheitert, weil die Abgeberseite mit ihrem Verkaufspreis ihr „Lebenswerk“ gewürdigt sehen wollte, ihre bis dato schlechte Altersvorsorge aufbessern musste oder von Praxismaklern einen unrealistischen Preis eingeredet bekommen hatte.

Jetzt könnte man ja meinen, dass sich im Markt in der Regel trotzdem ein gesunder Preis finden lässt, da wir uns in einer Situation befinden, in der es deutlich mehr Abgebende als niederlassungswillige Kolleg:innen gibt. Leider gibt es aber zunehmend kapitalstarke Medizinische Versorgungszentren, die Preise bezahlen, die mit einer normalen Gewinnerwartung an eine Einzelpraxis nicht zu erklären sind. Wenn Kollegen ihre Praxis mit dem Argument „Es wollte kein junger Arzt meine Praxis kaufen“ an solche Ketten verkaufen, dann sollte man nachfragen, ob vielleicht einfach niemand zu dem Preis kaufen wollte, den sie über die Kette erzielen konnten.

Bevor also jetzt immer mehr Haie ihre Praxen an Heuschrecken verkaufen und die Versorgungslandschaft unwiderruflich verändern und wir jungen Kollegen als geizige Faultiere diffamiert werden, sollten wir im Praxis-Übernahmeverfahren für mehr Transparenz sorgen. Offene Darstellungen im Netz, wer in den Zulassungsausschüssen sitzt, welche Sitze an wen vergeben werden und welche anderweitigen Bewerber es gibt – das wäre ein Anfang.

Man könnte auch den „Praxisverkauf“ von der Sitzübergabe entkoppeln. Ein abgebender Arzt müsste dann seinen Sitz immer zurückgeben und hätte keinen Einfluss mehr auf die Nachbesetzung. Ob die ärztlichen Nachrückenden, die sich in einem transparenten Verfahren um den kostenfreien Sitz bewerben, die Praxis des Abgebers für so wertvoll erachten, dass sie diese erwerben möchten, entscheiden sie unabhängig davon. Dann wäre der Sitz tatsächlich nicht veräußerlich.

Oder man könnte eine Regelung schaffen, dass mit jedem an ein Groß-MVZ verkauften Sitz ein „neuer“ Sitz für eine Neu-Niederlassung durch eine Einzel- oder Gemeinschaftspraxis geschaffen wird. Diesen neuen Sitz könnte man an die Dauer der Tätigkeit des ärztlichen Bewerbers koppeln und somit ein Zuviel an neuen dauerhaften Sitzen verhindern. Dann wäre sichergestellt, dass die Einkaufstour mancher MVZ sich an der Qualität der Praxen orientiert und nicht am Ausbau einer Marktmacht. Denn auch in MVZ arbeiten motivierte und tolle Kollegen, insofern haben auch diese Strukturen ihren Stellenwert.

Welche Versorgungsform sich die Patienten wünschen, könnten sie mit ihren Füßen entscheiden. Ich wäre da auf Grund der Patientenschwemme entspannt, dass alle genug zu arbeiten finden. Aber ich bin ja jetzt selbst ein ruhiger Karpfen.