Praxiskolumne „Asokollegial“ – wo ist das Teamwork, wenn man es braucht?

Kolumnen Autor: Sebastian Alsleben

Freundschaften, ein soziales Netz, überhaupt das Zusammenleben und -arbeiten mit anderen sind enorm wichtig für unser Wohlbefinden. Freundschaften, ein soziales Netz, überhaupt das Zusammenleben und -arbeiten mit anderen sind enorm wichtig für unser Wohlbefinden. © Beaunitta Van Wyk/peopleimages.com – stock.adobe.com

Es ist Montagmorgen, 8:05 Uhr. Ich bin mitten in meiner Sprechstunde, als eine Krankenschwester, tätig seit 20 Jahren in der örtlichen Notaufnahme, mit einem massiv geschwollenen Augenlid vor mir steht. Sie habe fünf Nachtdienste hintereinander gehabt und auf einmal sei die starke Schwellung aufgetreten. So weit, so gut.

Nur sollte man hinzufügen, dass die Kollegin zehn Minuten vorher in der direkt über unserer Praxis ansässigen augen­ärztlichen Praxis zur Notfallsprechstunde vorstellig werden wollte. Dort wurde sie aber mit einer Karte der 116 117 und den Worten „Versuchen Sie es beim Hausarzt unten“ runtergeschickt. Da die Schwellung sich über das gesamte Lid ausbreitete und diese Ausbreitung mich auch etwas verunsicherte, sagte ich der Kollegin, sie solle kurz warten, ich würde selbst oben eine Zweitmeinung einholen. Doch daraus wurde nichts: In der Nachbarpraxis war bereits bei der MFA Schluss – räumlich, vor allem aber hinsichtlich der ärztlichen Kollegialität.

Ähnliches konnte ich auch während meiner Klinikzeit immer wieder beobachten. „Abturfen“ heißt das Spiel, in dem es darum geht, möglichst viele Patienten aus seiner Fachabteilung in eine andere oder gar in andere Kliniken zu überweisen. 

Natürlich gab es auch unzählige positive Momente, in denen mir Kolleginnen und Kollegen den sprichwörtlichen Hintern gerettet haben. Dennoch frage ich mich: Wie viel besser könnte unser Arbeitsalltag sein und was würde es für die Versorgung unserer Patienten bedeuten, wenn wir alle das Wort ­MITEINANDER großschreiben würden?

Wir leben in einer Zeit, in der Individualismus, Selbstverwirklichung und -darstellung an oberster Stelle stehen. Gleichzeitig sehnen wir uns alle nach Gemeinschaft, Zugehörigkeit und Freundschaft. 

Das merke ich auch täglich in meinem Praxisalltag. Vielen Menschen fehlt der soziale Rückhalt in Krisensituationen. Dieses Thema könnten wir hoch bis in die Politik verfolgen. Immer mehr ältere Menschen gehen – teilweise noch mit Rollator – auf Pfandflaschensuche, da die eigene Rente nicht mehr aus­reicht. Wo ist der Rückhalt unserer Gesellschaft?
Gesundheit ist mehr als nur physisch. Das wissen wir spätestens, seit George Engel 1977 sein bio-psycho-soziales Modell von Gesundheit und Krankheit vorgestellt hat.

Freundschaften, ein soziales Netz, überhaupt das Zusammenleben und -arbeiten mit anderen sind enorm wichtig für unser Wohlbefinden. Wir als Gesundheitsexperten sollten es also besser wissen.

Fehlende Kollegialität und der mangelnde Wille für eine gute Zusammenarbeit wirken sich auch massiv auf die Qualität der Patientenversorgung aus! Besonders wir Hausärzte leiden darunter. Bei uns laufen alle Fäden zusammen und wir entwickeln ein Behandlungskonzept, das möglichst alle Faktoren berücksichtigt. Ohne gute Informationsweiterleitung sind wir oft auf die Erinnerungsfähigkeit unserer Patienten zurückgeworfen. Und wir alle kennen die Datenlage dazu, wie detailliert Patienten während eines Arztbesuches Informationen aufnehmen und an Kollegen weitergeben können. 

Die Ära der Individualisierung führt in der Medizin dazu, dass wir Ärzte uns immer mehr als unabhängige, isolierte Experten verstehen. Die dringend nötige Zusammenarbeit wird dadurch spürbar beeinträchtigt. Es ist an der Zeit, wieder mehr auf Kollegialität zu setzen statt auf „Asokollegialität“. Kollegialität bedeutet nicht nur inhaltliche und therapeutische Kooperation über Fachgebiete, Stationen oder Praxen hinweg. Es gehört auch gegenseitige Unterstützung dazu, Mentoring und der Austausch von Wissen und Erfahrungen. Nur so schaffen wir es, dass unsere Zusammenarbeit wieder zu mehr Zufriedenheit im Berufsalltag führt und wir gleichzeitig unsere Patienten deutlich besser versorgen können.

Ich habe das Glück, mit einer ganzen Reihe von ärztlichen Kollegen zusammenzuarbeiten, die nicht nur in ihren Fachgebieten kompetent sind, sondern auch den Wert von gegenseitiger Unterstützung und gemeinsamem Lernen erkennen. In diesem Sinne: Springen auch Sie mit auf den „Zug der Kollegialität“. Es lohnt sich – für Sie und Ihre Patienten.