Im Interview: Dr. Eckart von Hirschhausen „Wir Ärztinnen und Ärzte haben eine Nicht-Schweige-Pflicht!“

Gesundheitspolitik Autor: Dr. Joachim Retzbach

„Wir interessieren uns nur für den Therapieeffekt eines Medikaments und zu wenig für dessen Effekt auf die Umwelt“, sagt Dr. Eckart von Hirschhausen im Interview. „Wir interessieren uns nur für den Therapieeffekt eines Medikaments und zu wenig für dessen Effekt auf die Umwelt“, sagt Dr. Eckart von Hirschhausen im Interview. © Dominik Butzmann

Klimakrise, Desinformation, Demokratiefeindlichkeit: Themen, aus denen sich Ärztinnen und ­Ärzte von Berufs wegen besser raushalten sollten? Das sieht Dr. Eckart von Hirschhausen anders. Denn es geht dabei um nichts Geringeres als den Schutz unserer Lebensgrundlagen – und das ist durchaus eine medizinische Aufgabe.

Herr Dr. von Hirschhausen, Sie haben vor rund zwei Jahren bekannt gegeben, dass Sie ihre Bühnenkarriere in der vorherigen Form aufgeben. Wie kam es dazu und wie sieht Ihre neue Rolle aus?

Die Welt ist nicht mehr wie vor fünf Jahren – und ich bin es auch nicht. Ich ziehe mich nicht ins Privatleben zurück, im Gegenteil. Aber ich konzentriere mich mittlerweile auf weniger Auftritte und spreche lieber über die Themen, die jetzt anstehen. Und die sind leider weniger lustig als früher. Seit dem Hitzesommer 2018 ist mir klar, dass ich gerade als Arzt meine Bekanntheit dafür nutzen sollte, mich für eine medizinisch und wissenschaftlich fundierte Klima- und Umweltpolitik zu engagieren. In Zusammenarbeit mit Akteuren wie der Ärztekammer oder den Scientists for Future hat sich seitdem schon einiges getan. Nun befinden wir uns aber weltweit im härtesten „Backlash“ gegen den Schutz unserer Lebensgrundlagen seit vielen Jahrzehnten. Wissenschaftsleugner und Demokratiezerstörer scheinen in Deutschland für bis zu 30 % der Menschen wählbar. Donald Trump will einen Impfleugner zum Gesundheitsminister machen, torpediert die WHO und das Pariser Klimaabkommen. Alle Fortschritte bei der Reduktion der Treibhausgase werden in rasender Geschwindigkeit zurückgedrängt. Und das ist letztlich alles auch ein medizinisches Problem.

Inwiefern?

Klimaschutz ist Gesundheitsschutz! Ein verbreitetes Missverständnis lautet: Wir müssen die Erde retten. Dabei müssen wir uns selbst retten. 2023 gab es ca. 50.000 Hitzetote in Europa. Neben den Todesfällen bringt der Klimawandel noch zahllose weitere medizinische Probleme.

Haben Sie Beispiele dafür?

Hitze ist Gift fürs Hirn und verschlechtert praktisch alle neurologischen Erkrankungen. Ein wärmeres Klima verlängert die Pollensaison, was insbesondere in Kombination mit Luftverschmutzung die Anfälligkeit für atopische Erkrankungen erhöht. Es gibt die Frühsommer-Meniggoenzephalitis schon im Januar. Ich hatte letztes Jahr eine Borreliose – im November! Diese Liste ließe sich endlos fortsetzen. Und bislang wissen wir noch wenig darüber, wie sich Hitze, Schadstoffe in der Luft und Extremwetterereignisse auf die Psyche auswirken. Depressionen und Angststörungen könnten sogar zu den häufigsten „Nebenwirkungen“ der Klimakrise gehören, gerade bei jüngeren Menschen. Ein körperlich und seelisch gesundes Leben wird immer schwieriger.

Wie erleben Sie die Diskussion über diese Themen in der Ärzteschaft?

Es ist einiges ins Rollen gekommen. In Münster haben wir 2019 mit den „Doctors for Future“ noch vor dem Deutschen Ärztetag demonstriert. Mittlerweile positioniert sich die Bundesärztekammer selbst deutlich und veröffentlicht z. B. gemeinsam mit wissenschaftlichen Partnern jährlich Empfehlungen zu klimabedingten Gesundheitsgefahren. Ein nationaler Hitzeschutzplan nimmt endlich Formen an. Aber man muss auch sagen: Vieles davon kommt mit einer Verzögerung von 20 Jahren. Nach der ersten großen Hitzewelle in Europa 2003 hat Frankreich direkt angefangen, Städte klimaresilient zu machen – mehr Grünflächen und Wasserspender, verpflichtende Klimaanlagen in Altenheimen. In Deutschland sind viele Einrichtungen für vulnerable Menschen weder für aktuelle noch für künftige, schlimmere Hitzewellen gerüstet.

Was müsste sich neben einem verbesserten Hitzeschutz noch ändern?

Wir machen immer noch medizinische Lehre und Forschung für eine Welt, die es nicht mehr gibt. Wir interessieren uns nur für den Therapieeffekt eines Medikaments und zu wenig für dessen Effekt auf die Umwelt. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich bin froh über jede neue Behandlungsmöglichkeit! Aber man muss das Verhältnis sehen. Viele Medikamente bauen sich in der Umwelt schlecht ab und schädigen unsere Lebensgrundlagen, etwa Diclofenac. Wenn es umweltverträglichere Alternativen gibt, ist das nicht mehr vertretbar.

Aktuelle Veröffentlichung

Anhand einer Begegnung mit einem Pinguin zeigt Eckart von Hirschhausen: Man kann sich mit Leichtigkeit persönlich entfalten, wenn man in seinem Element ist. Der neue Ratgeber verbindet Psychologie mit Humor – und den Kampf gegen den Klimawandel mit preisgekrönten Antarktis-Fotos.
 

Eckart von Hirschhausen: Der Pinguin, der fliegen lernte. dtv, ISBN 978-3-423-28452-3, Euro 18,00

Warum sehen Sie Ärztinnen und Ärzte in der Verantwortung, sich zu engagieren?

Haben wir uns nicht dazu verpflichtet, Leben zu schützen, auf Gesundheitsgefahren hinzuweisen und notfalls auch schlechte Nachrichten zu überbringen? Deshalb dürfen wir uns da nicht raushalten. Wir haben sozusagen eine Nicht-Schweige-Pflicht!

Viele schrecken vermutlich davor zurück, als zu politisch wahrgenommen zu werden.

Dabei ist das gar kein politisches Thema! Es ist doch unstrittig, dass wir zum Leben saubere Luft, frisches Wasser, essbare Pflanzen und aushaltbare Temperaturen brauchen. Wie man diese Tatsachen für „links“ oder gar ideologisch halten kann, ist mir schleierhaft. Vor allem von den konservativen und christlichen Parteien bin ich in dieser Hinsicht enttäuscht. Konservativ kommt vom lateinischen Wort für „bewahren“. Und im christlichen Sinn bedeuten Klima- und Biodiversitätsschutz nichts anderes als die Bewahrung der Schöpfung.

Lassen sich die weltanschaulichen Gräben bei diesem Thema überhaupt noch überbrücken?

Das geht. Unter anderem dafür habe ich meine Stiftung Gesunde Erde – Gesunde Menschen gegründet. Auf unserer Homepage finden Sie zum Beispiel eine Recherche über die Zusammenhänge zwischen Klima und Gesundheit – frei zugänglich und gemeinnützig finanziert. Die Wissenschaft ist eindeutig: Wir müssen dringend handeln. Die aktuellen weltpolitischen Akteure tun aber so, als wäre die Erdüberhitzung eine Modeerscheinung. Wenn wir jedoch weitermachen wie bisher, steigen die Folgekosten immer stärker an.

Wie hängen Rechtspopulismus und Wissenschaftsfeindlichkeit zusammen?

Dass sich in so rasantem Tempo viele westliche Länder von offenen und demokratischen Gesellschaften verabschieden – siehe USA, Italien oder auch Österreich –, ist kein Zufall. Internationale Netzwerke arbeiten seit Jahrzehnten darauf hin, finanziell gut ausgestattet mit Geld aus fossilen Brennstoffen. Der so erkaufte politische Einfluss wird jetzt genutzt, um den Umweltschutz wieder zurückzudrehen. Das klingt nach einer Verschwörungsidee, ist aber bestens belegt. Es gibt dazu Publikationen in Science und erhellende Bücher wie „Männer, die die Welt verbrennen“ von Christian Stöcker. Die Taktiken kennt man von der Tabakindustrie: Studien anzweifeln, Politiker bestechen, Regulierung verhindern.

Gibt es auch Lichtblicke?

Ich finde es großartig, was die Klinik in Magdeburg nach dem Anschlag im Dezember gepostet hat: Die Versorgung der Opfer war nur möglich, weil Menschen aus 20 Nationen hier zusammenarbeiten. Wer „Remigration“ fordert, nimmt unter anderem in Kauf, dass unser Gesundheitssystem zusammenbricht.

Warum ist die Gesellschaft derzeit so anfällig für Populismus?

In Zeiten der Verunsicherung ist es leicht, zu sagen: Wenn ihr uns wählt, wird alles wie früher. Wird es aber nicht. Erst recht nicht, wenn man die von Vorgestern wählt. Wo blieb etwa der Aufschrei der Ärzteschaft, als Höcke forderte, behinderte und nicht-behinderte Kinder sollten nicht mehr zusammen lernen dürfen? Das erinnert klar an nationalsozialistisches Gedankengut. Wir haben uns doch geschworen, das nie wieder zuzulassen!

Trotzdem positionieren sich nur wenige Ärztinnen und Ärzte öffentlich – wahrscheinlich auch wegen schlechter Erfahrungen in der Corona-Pandemie. Wozu raten Sie?

Das Wichtigste ist: Bleiben Sie nicht allein! Schließen Sie Bündnisse. Weisen Sie in Ihren Gremien auf diese Themen hin. In Ihrer Praxis, Ihrer Kommune und Ihrer Kirchengemeinde. Wer in Gesundheitsberufen arbeitet, genießt nach wie vor ein hohes Vertrauen in der Bevölkerung. Die Zivilgesellschaft steht hinter uns. Und sie erwartet unser Engagement nicht nur für die individuelle, sondern auch für die gesellschaftliche und die planetare Gesundheit.

Medical-Tribune-Interview

Seit fünf Jahren widmet sich Eckart von Hirschhausen Themen, die er „leider weniger lustig“ findet. Der vor allem als Kabarettist, Buchautor und Moderator bekannt gewordene Arzt kämpft u. a. mit seiner Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ für mehr Klimaschutz und planetare Gesundheit. Davon würden auch die Pinguine profitieren, die ihn zu seinem aktuellen Buch inspiriert haben. Seit fünf Jahren widmet sich Eckart von Hirschhausen Themen, die er „leider weniger lustig“ findet. Der vor allem als Kabarettist, Buchautor und Moderator bekannt gewordene Arzt kämpft u. a. mit seiner Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ für mehr Klimaschutz und planetare Gesundheit. Davon würden auch die Pinguine profitieren, die ihn zu seinem aktuellen Buch inspiriert haben. © Dominik Butzmann