Hausärztin als Klimaaktivistin „Wir brauchen mehr klare Ansagen“
Wie kam es, dass Sie sich der ärztlichen Klimabewegung angeschlossen haben?
Dr. Berg: 2019 gab es auf dem Kongress für Allgemeinmedizin einen Workshop zum Thema Klima und Gesundheit, das war mein erster Kontaktpunkt. Ich habe dann regional die Health-for-Future-Gruppe Mainz-Wiesbaden mitgegründet, außerdem engagiere ich mich in der DEGAM in der Sektion Klimawandel und Gesundheit. Im Deutschen Ärztinnenbund habe ich den Ausschuss für Klima und Gesundheit mitgegründet.
Wie arbeiten diese verschiedenen Klimaschutz-Gruppen jeweils?
Dr. Berg: Health for Future ist der aktivistische Arm von KLUG eV., der deutschen Allianz für Klimawandel und Gesundheit. Die Ortsgruppen bringen sich in regionale Aktionen wie die Fridays-for-Future-Demos ein und netzwerken. Im Ärztinnenbund geht es vor allem darum, die Kolleginnen auf den Stand des Wissens zu bringen. Wir haben schließlich alle nicht gelernt, klimaneutral zu arbeiten. Die Gruppe macht Webinare und veröffentlicht Artikel.
Die DEGAM-Sektion soll ebenfalls informieren. Sie unterstützt außerdem die Abteilungen für Allgemeinmedizin, die zum Klimawandel forschen und gibt Fortbildungen. Wir versuchen aber auch, uns einzubringen, wenn gesundheitspolitische Entscheidungen anstehen.
Welche Möglichkeiten haben Sie, sich in die Gesundheitspolitik einzubringen?
Dr. Berg: Es ist kein aktives Lobbyieren. Aber KLUG e.V., also der Verband, der alle zusammenhält, bekommt Forschungsgelder und -aufträge, auch von staatlicher Seite. Er bringt sich stark in Hitzeaktionspläne und politische Entscheidungen ein. Wenn es dort Zuarbeiten gibt, übernehmen dies die Fachverbände. Außerdem befeuern sie die Debatte durch Aufklärung und durch den Rückhalt in der Fachgesellschaft. Wenn die zigtausend Mitglieder ein Thema relevant finden, hat das politisch Gewicht.
Die Mitglieder von Health for Future sind ohnehin überzeugte Klimaschützer. Aber stößt das Thema auch bei anderen Fachverbänden auf Resonanz?
Dr. Berg: Ja, sehr. Das ist ein Thema, das sowohl Kolleginnen und Kollegen aus meiner Generation umtreibt als auch jüngere. Fast alle Fachgesellschaften haben mittlerweile eine Sektion für Klimawandel, egal ob nun Pulmologie oder Radiologie. Das Thema findet auf Kongressen statt, es wird viel dazu publiziert. Wir arbeiten daran, die Gruppen stärker zu vernetzen, auch mit dem ergo- und physiotherapeutischen Bereich und der Psychologie. Da passiert sehr viel.
Haben Sie das Gefühl, dass in der niedergelassenen Ärzteschaft, ein Bewusstsein entsteht?
Dr. Berg: Ich glaube, das Interesse ist da. Aber für viele hat das Thema nicht die höchste Priorität, weil die Arbeitsbedingungen sich verschlechtern. Es wird immer schwieriger, Mitarbeitende zu finden, sodass es nur eines von vielen Themen ist. Wer aufmerksam durch seinen Alltag geht, müsste aber eigentlich merken, dass es eine höhere Priorität haben müsste. Ich weiß nicht, wie viel Hitzekollapse ich diesen Sommer gesehen habe und es war sicher nicht der heißeste Sommer in Deutschland.
Das Thema findet auch Einzug in die medizinische Ausbildung. Ich gebe selbst einige Fortbildungen regional und werde überregional angefragt. Wissen zum Thema Klima und Gesundheit wurde auch in die Facharztweiterbildung aufgenommen, zum Beispiel in der Allgemeinmedizin. Da auch jemand dieses Wissen weitergeben und bescheinigen muss, müssen sich auch alle Älteren zu dem Thema schlau machen für die Zukunft.
Und wie ist das bei Ihnen in der Praxis? Implementieren Sie Klimaschutzmaßnahmen?
Dr. Berg: Ja, klar. Wir versuchen, möglichst viele Wege mit dem Fahrrad zu nehmen, obwohl es schon etliche Kilometer sind. Wir haben grünen Strom, wir vermeiden Neuanschaffungen. Wenn wir etwas kaufen, dann bewusst Dinge, die möglichst langlebig und klimaneutral produziert, recycelt oder wieder aufladbar sind. Mit den Patientinnen und Patienten spreche ich über Medikamentenanpassungen in Hitzezeiten und darüber, wie sich klimafreundliches Verhalten in den Alltag integrieren lässt. Das ist meistens auch gut für die Gesundheit, etwa weniger tierische Produkte zu essen und sich mehr zu bewegen. Weitere Fragen, die wir besprechen sind: Wie gehe ich um mit verlängerten Allergiezeiten? Wie muss ich meine Wohnung vielleicht beschatten?
Wie offen sind die Leute gegenüber solchen Hinweisen?
Dr. Berg: Manche Patienten sind schon erst mal erstaunt, dass wir das Thema so betonen. Bei uns in der Praxis gibt es Flyer, Plakate und aktuell eine Cartoonausstellung von Gerhard Münster, der oft Karikaturen zum Klimawandel veröffentlicht. Aber viele sind ganz froh, dass sie Informationen bekommen. Manchmal müssen sie es sich auch gefallen lassen, dass unangenehme Themen angesprochen werden.
Welche politischen Maßnahmen würden Sie sich wünschen?
Dr. Berg: Ich wünsche mir sowohl von der Politik als auch berufspolitisch mehr klare Ansagen. So viel motorisierten Individualverkehr wie jetzt können wir auf Dauer nicht halten. Wir müssen zurückschrauben. Unser oberstes Ziel sollte es sein, diesen Planeten weiter bewohnbar zu halten und nicht nur die Wirtschaft zu fördern. Auch zu unsinnigen Maßnahmen, die wir einhalten müssen, wünsche ich mir eine Ansage. Zum Beispiel dürfen wir Desinfektionsmittel nicht abfüllen, sondern müssen Flaschen kaufen, die in unsere Spender passen. Zu Coronazeiten ging es plötzlich auch, dass wir den Kanister in der Apotheke haben füllen lassen. Wir könnten außerdem eine Menge Bürokratie – und damit Papier – einsparen. Wir könnten an manchen Stellen über den Datenschutzschatten springen, um die Digitalisierung voranzubringen und Doppeluntersuchungen zu vermeiden, denn die sind alle klimaschädlich.
Eine Untersuchung der Leopoldina zeigt, wie viel CO2 pro Kopf pro Jahr okay ist, um den Gesundheitszustand der Menschen zu verbessern. In Deutschland liegt dieser Verbrauch knapp doppelt über dem Wert, der noch gesund macht. Das heißt, jede Maßnahme, die ich medizinisch durchführe, macht die Menschen in der Summe kränker. Wir bräuchten also auch Ansagen dazu, was sinnvoll ist, wo etwas unterbleiben kann. Da haben viele Kolleginnen und Kollegen große Angst, weil sie eventuell in forensische Schwierigkeiten kommen.
Haben Sie das Gefühl, das Health for Future anders gehört wird als Fridays for Future? Oder wird das als ein großer Akteur wahrgenommen?
Dr. Berg: Schwer zu sagen. Ich glaube, dass die Beteiligung von allen Akteuren im Gesundheitswesen enorm wichtig ist, weil sie ein hohes gesellschaftliches Ansehen haben.
Ich denke, dass das schon für viele Menschen in der Bevölkerung einen anderen Stellenwert hat, als wenn Fridays for Future allein laut wird. Gerade für einige Ältere hat das noch mal einen anderen Stellenwert. Und natürlich gibt es auch ganz prominente ärztliche Klimaschützer wie Eckart von Hirschhausen, der durch seine Popularität mehr Leute erreicht. Also: Ja, wir werden gehört. Aber am Ende sind alle ein Bündnis.
Gab es in letzter Zeit schon Entwicklungen, die mehr Klimaschutz im Gesundheitswesen fördern?
Dr. Berg: Tja, also dass wir Anreize hätten, uns klimafreundlich zu verhalten … nein. Ich würde sagen, es beruht letzten Endes immer auf der Aktivität der Einzelnen.
Klingt frustrierend. Was hält Sie davon ab, zu resignieren?
Dr. Berg: Manchmal würde ich das gerne. But there is no planet b. Es ist schön, mit anderen Menschen etwas zu bewirken und uns gegenseitig zu motivieren. Ich glaube, das ist es, was uns alle bei der Stange hält. Ich würde mir wünschen, dass mehr Leute dazukommen und sich mitreißen lassen. Es muss ja nicht jeder dauernd Fortbildungen halten oder Interviews geben. Aber wir können alle etwas im Kleinen bewirken und zwei oder drei andere mitnehmen. Und wenn wir das tun, dann werden wir eine große Masse, die bereit ist, eine große politische Veränderung mitzutragen. Vorher wird sich politisch nichts ändern. Aber wir brauchen diese Veränderung von außen, Verhaltensprävention und Verhältnisprävention gleichzeitig. Ich habe Kinder großgezogen und hätte gerne, dass die in dieser Welt auch noch eine Zukunft haben.
Wie können Interessierte sich einbringen? Was erwartet sie?
Dr. Berg: Wenn jemand mitmachen möchte, finden wir etwas, das wir zusammen tun können. Wir haben zum Beispiel einen großen Pool an Fortbildungen, aber nicht genügend Referentinnen und Referenten. Es wäre fantastisch, wenn Kolleginnen und Kollegen aus allen Fachbereichen dazukommen, die selbst gerne mehr wissen und dieses Wissen dann auch weitergeben möchten.
Quelle: Medical-Tribune-Interview