Praxiskolumne Wir kämpfen für andere – aber wer kämpft für uns?
Eine stetig wachsende Zahl an Studien zeigt, dass medizinisches Personal unter erheblichem Druck steht. Überlastung, emotionale Erschöpfung und der ständige Umgang mit Leid und Trauer führen nicht nur zu Unzufriedenheit, sondern erhöhen auch das Risiko für psychische Störungen wie Depressionen oder das Burn-out-Syndrom. Laut einer aktuellen Erhebung ist das Risiko für Ärztinnen und Ärzte, an einer Depression zu leiden, um bis zu 50 % höher als in anderen Berufen. Dies ist nicht nur besorgniserregend, sondern geradezu alarmierend. Vor allem, wenn man bedenkt, dass die Dunkelziffer vermutlich noch deutlich höher liegt.
Die Gründe für diese Entwicklung sind vielschichtig: Lange Arbeitszeiten, zunehmender bürokratischer Aufwand und der emotionale Druck, für das Leben anderer verantwortlich zu sein – ohne dass ausreichend zeitliche Ressourcen zur Verfügung stehen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden. Das sind nur einige der Faktoren, die zu einer psychischen Überlastung beitragen. Zumindest bei mir ist ein starker Auslöser von Unzufriedenheit, dass mir subjektiv häufig die Zeit fehlt, um meine Patienten so zu versorgen, wie ich gerne möchte.
Ich will ganz offen sein: Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber die letzten fünf Jahre haben nicht nur beruflich an mir gezehrt, sondern sich darüber hinaus auch massiv auf mein Privatleben ausgewirkt. Dort musste ich große Abstriche machen, etwa im Vergleich zu meinen Nichtmediziner-Freunden.
Ein weiteres erschreckendes Phänomen ist das erhöhte Risiko für suizidale Gedanken unter Ärztinnen und Ärzten. Der Druck, ständig leistungsfähig zu sein und den eigenen Schmerz zu verbergen, kann unendlich belastend wirken.
Warum gibt es nicht mehr leicht zugängliche Behandlungsangebote für psychisch stark beanspruchte Berufsgruppen wie die unsere? Die mangelnde Aufmerksamkeit für dieses Thema beginnt schon im Studium. Auch wenn der Fokus auf der Behandlung von Erkrankten liegt, dürfte unser eigenes Wohlbefinden nicht völlig unter den Tisch fallen. Wir sollten nicht nur alles über die Prävention von lebensstilbedingten Krankheiten lernen, sondern auch etwas über unsere eigene Verwundbarkeit.
Hinzu kommt, dass der Zugang zu psychotherapeutischen Angeboten auch für uns schwierig sein kann. Und sich überhaupt erst einmal einzugestehen, dass man mal eine Auszeit braucht? Das ist ja für viele von uns bereits undenkbar.
Es ist höchste Zeit, dass wir dem Thema die nötige Beachtung schenken. Vielleicht brauchen wir nicht nur mehr Aufklärung und neue Behandlungsangebote, sondern sogar flächendeckende Screenings? Nur wenn wir unsere eigene Gesundheit ernst nehmen, können wir auch für andere langfristig da sein. Deshalb: Lassen Sie uns dafür kämpfen!