Praxiskolumne Zwischen Fakten und Fake

Kolumnen Autor: Dagny Holle-Lee

Betroffene stoßen im Netz regelmäßig auf Fehlinformationen und fragwürdige Quellen. Betroffene stoßen im Netz regelmäßig auf Fehlinformationen und fragwürdige Quellen. © A2Z AI – stock.adobe.com

Beim diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) war der Titel der Eröffnungsveranstaltung „Wie immun ist unsere Demokratie?“ hochaktuell.

Die Frage passte zum historischen Kontext: am Tag der Wiederwahl von Donald Trump, einem Symbol für die zunehmende Bedeutung alternativer Fakten und paralleler Informationskanäle. Während klassische Medien an Vertrauen verlieren, gewinnen Social-Media-Plattformen an Einfluss. Diese Entwicklung gefährdet nicht nur unsere Demokratie – auch das Vertrauen in uns als Ärztinnen und Ärzte sinkt.

Die Coronapandemie hat diesen Trend verstärkt. Themen wie Long COVID, Impfskepsis und alternative Heilmethoden wurden in den sozialen Netzwerken emotional aufgeladen. Betroffene stoßen regelmäßig auf Fehlinformationen und fragwürdige Quellen. Das führt zu Unsicherheiten und Missverständnissen. Lars Timmermann, der Präsident der DGN, plädierte jedoch dafür, soziale Netzwerke klug zu nutzen, statt sie zu verteufeln: Mit der richtigen Strategie könnten Ärztinnen und Ärzte nicht nur Vertrauen zurückgewinnen, sondern sogar die medizinische Versorgung verbessern.

Beim diesjährigen Schmerzkongress, den ich als Präsidentin mitgestalten durfte, haben wir gezielt sogenannte Medfluencer eingeladen, um die Rolle sozialer Medien in der Medizin zu beleuchten. Dabei bestand in einem große Einigkeit: Es ist möglich, Patientinnen und Patienten auf Social Media mit fundierten Informationen zu versorgen, ihnen Orientierung zu bieten und sie zu eigenverantwortlichem Handeln zu motivieren.

Welche Chance die sozialen Medien bieten, zeigt sich an der Endometriose. Die Erkrankung war lange das Paradebeispiel für diagnostische Verzögerung. Oft vergingen mehr als zehn Jahre, bis die Krankheit erkannt wurde. Diese Zeit hat sich mittlerweile drastisch verkürzt – auch durch intensive Aufklärungsarbeit über Social Media. Betroffene sind jetzt besser informiert, finden schneller den richtigen Ansprechpartner und fordern selbstbewusster eine gründliche Abklärung ein.

Natürlich birgt die Nutzung sozialer Medien für Gesundheitsthemen auch Herausforderungen. Die Verbreitung unseriöser Inhalte und selbsternannter „Experten“ ist ein ernstes Problem. Umso wichtiger ist es, dass wir Medizinerinnen und Mediziner selbst aktiv werden und eigene, verlässliche Kanäle aufbauen. Unsere Expertise ist entscheidend, um Desinformation zu bekämpfen und das Vertrauen in die wissenschaftlich fundierte Medizin zu stärken.

Die aktive Teilnahme in sozialen Netzwerken eröffnet nach meiner Erfahrung auch neue Chancen für die Arzt-Patienten-Beziehung. Indem wir uns auf diesen Kanälen engagieren, erreichen wir nicht nur ein breiteres Publikum, sondern stärken auch die Bindung zu unseren Patientinnen und Patienten. Sie fühlen sich ernst genommen und gehört.

Die Kommunikation über Social Media erfordert jedoch ein Umdenken. Plattformen wie Instagram, Twitter oder TikTok verlangen eine andere Ansprache als das persönliche Gespräch. Die große Herausforderung liegt darin, komplexe Inhalte verständlich, aber korrekt zu vermitteln. Doch die Mühe lohnt sich!

Wie immun unsere Demokratie ist, bleibt dieser Tage eine offene Frage. Doch wir können dazu beitragen, das Vertrauen unserer Patientinnen und Patienten in die evidenzbasierte Medizin und in Expertinnen und Experten zu stärken: indem wir soziale Netzwerke nicht nur als Gefahr sehen, sondern ihre Potenziale nutzen.

Ihre, 

Dagny Holle-Lee